Außerklinische Intensivpflege: Was das IPReG für den Markt bedeutet

Intensivpflege Gesetz
Donnerstag, 25 Februar 2021 12:46

Das neue Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (GKV-IPReG) hat bereits im Entwurfsstadium für Wirbel gesorgt. Am 29. Oktober 2020 ist es in Kraft getreten. Als Hintergrund des neuen Gesetzes sind u. a. die hohen Kosten der Krankenkassen für ambulante Intensivpflege und die bisher geringe qualitative Reglementierung in diesem Bereich zu nennen. Wir werfen einen Blick auf die Neuerungen und wagen erste Prognosen, was das IPReG für den Markt und die jeweiligen Leistungserbringer bedeutet.

Im Gesetzgebungsprozess erhielt das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz außergewöhnlich viel öffentliche und mediale Aufmerksamkeit. Ein erster Entwurf unter dem Titel Rehabilitation- und Intensivpflegestärkungsgesetz (RISG) wurde verworfen. Durch das Drängen von Betroffenen und Verbänden hat auch das darauffolgende Vorhaben mehrere Versionen und Änderungen durchlaufen. Die Kritik drehte sich vor allem um die Einschränkung der Wahl des Leistungsorts für Leistungsberechtigte.

Neuer Leistungsanspruch auf außerklinische Intensivpflege

Das IPReG bringt Änderungen in verschiedenen Bereichen. Es formuliert den Leistungsanspruch auf außerklinische Intensivpflege neu im § 37c SGB V. Der Anspruch umfasst „die medizinische Behandlungspflege, die zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist, sowie eine Beratung durch die Krankenkasse“. Es werden auch die möglichen Örtlichkeiten genannt, an denen außerklinische Intensivpflege erbracht werden kann.

  • Pflegeeinrichtungen
  • Einrichtungen der Hilfe für Menschen mit Behinderungen
  • Qualitätsgesicherte Intensivpflege-Wohneinheiten
  • Eigene Häuslichkeit
  • Andere geeignete Orte (z. B. betreute Wohnformen, Schulen etc.)

Weiter sieht das Gesetz Vorgaben zur Qualitätssicherung und eine finanzielle Entlastung der Intensiv-Pflegebedürftigen vor. Die Regelungsmaßstäbe für Rahmenempfehlungen der außerklinischen Intensivpflege legt § 132l SGB V fest.

Das GKV-IPReG setzt starke finanzielle Anreize zugunsten einer Versorgung in stationären Pflegeeinrichtungen mit Angeboten nach SGB XI – vor allem durch die weitgehende Entlastung der Leistungsberechtigten von Eigenanteilen. Hintergrund ist neben dem Kostenfaktor auch die Verteilung der knappen ,Ressource Pflegefachkraft‘. Die Kriterien für die Leistungserbringung zu Hause oder in spezialisierten Wohneinheiten werden zugleich verschärft.

Betroffene stellen sich nun die Frage, ob ihr bisheriger bzw. gewünschter Ort der Leistungserbringung künftig den Kriterien und der jährlich vorgesehenen Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen entsprechen kann. Im § 37c SGB V heißt es:

Berechtigten Wünschen der Versicherten ist zu entsprechen. Hierbei ist zu prüfen, ob und wie die medizinische und pflegerische Versorgung am Ort der Leistung […] sichergestellt ist oder durch entsprechende Nachbesserungsmaßnahmen in angemessener Zeit sichergestellt werden kann“.

Gleichzeitig stellt sich auch für Leistungserbringer und andere Akteur*innen der Branche die Frage, welche Auswirkungen das Gesetz auf den Markt der außerklinischen Intensivpflege haben wird. Denn diese Erwägungen können für strategische und wirtschaftliche Entscheidungen von Diensten und Einrichtungen entscheidend sein.

Gut gemeint, aber wer macht‘s?

Nur besonders qualifizierte Vertragsärzt*innen dürfen künftig außerklinische Intensivpflege gemäß § 37c SGB V verordnen. Der Gemeinsame Bundesausschusses (G-BA), der in Richtlinien zum Gesetz den Inhalt und Umfang der Leistungen sowie die Anforderungen näher zu bestimmen hat, konkretisiert auch die besondere Qualifikation der Vertragsärzt*innen.

Eine im Kern sinnvolle Regelung lässt die Problematik des herrschenden Facharztmangels in den Krankenhäusern und niedergelassenen Praxen außer Acht. Je nach Ausgestaltung der Richtlinie besteht das Risiko einer möglichen verminderten oder nicht rechtzeitigen Entlassung in die außerklinische Intensivpflege.

Potenzial könnte perspektivisch in der Telemedizin liegen: So könnte beispielweise die routinierte Überwachung von Vitalparametern und deren digitale Weiterleitung an den Arzt oder die Ärztin helfen, die Besuche vor Ort konzentrierter bzw. gezielter zu organisieren. Hier bleibt abzuwarten, was u. a. der kürzlich vom Bundeskabinett verabschiedete Gesetzesentwurf zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege (DVPMG) im Bereich Telemedizin bringt.

Das IPReG sieht auch finanzielle Anreize für Krankenhäuser und Ärzt*innen vor, die gezielte Diagnosen, Prognosen und Behandlungspläne mit dem Ziel der Beatmungsentwöhnung und Dekanülierung verfolgen. Auch hier könnte die praktische Umsetzung des zunächst vernünftigen Ansatzes Probleme bereiten.

Denn die Umsetzung solcher Behandlungspläne sollte nur mit entsprechenden Weaning-Zentren erfolgen. So ist auch der Tenor der S2k-Leitlinie „Nichtinvasive und invasive Beatmung“. Spezialisierte Zentren dieser Art gibt es bisher in Deutschland aber nicht in ausreichendem Maß, was auch durch die Facharztproblematik bedingt sein könnte (s. dazu auch: B. Tews, bpa Magazin 3/2020).

Marktregulierung der außerklinischen Intensivpflege?

Inwieweit ist nun mit einer Veränderung des Marktes der außerklinischen Intensivpflege zu rechnen? Wird sich eine Verschiebung in Richtung stationärer Angebote ergeben? Diese Frage kann man heute wohl noch nicht vollumfänglich beantworten. Verschiedene Erwägungen deuten aber auf eher moderate Verschiebungen statt einer echten Umwälzung hin.

Das Marktvolumen der Außerklinischen Intensivpflege betrug 2018 1,9 Milliarden Euro; 1.855 Millionen Euro in der ambulanten Intensivpflege und 62 Millionen Euro in der Intensivpflege in stationären Einrichtungen. Das Versorgungsvolumen umfasste dabei ca. 19.100 Leistungsfälle in der ambulanten außerklinischen Intensivpflege. (vgl. Drucksache 19/19368)

  • Die angenommene „steigende Leistungserbringung in vollstationären Pflegeeinrichtungen und speziellen Intensivpflege-Wohneinheiten“ soll zu erheblichen Minderausgaben führen. Der entsprechenden Begründung im Gesetzesentwurf zufolge visierte der Gesetzgeber eine jährliche Ersparnis von einem „niedrigen bis mittleren dreistelligen Millionenbetrag“ an.

Geht man einmal von ca. 200 bis 500 Millionen Euro Einsparungen und durchschnittlich 100.000 Euro Ausgaben je Einzelfall aus, könnte die Versorgungssituation von ca. 2.000 bis 5.000 Versicherten direkt beeinflusst sein.

Aufgrund der Änderungen des Entwurfs zugunsten der freien Bestimmung der Leistungsberechtigten über den Leistungsort ist nun fraglich, wie realistisch dieses Einsparungspotenzial tatsächlich ist. Damit könnte diese hochgerechnete Zahl der Versicherten niedriger ausfallen.

Mit Blick auf den demografischen Wandel und die prognostizierte Fallzahlensteigerung von schweren Erkrankungen wie z. B. COPD, Multiple Sklerose oder Apoplexien sowie die damit einhergehende Steigerung der Pflegebedürftigen in Deutschland, ist allerdings auch mit einem weiteren Zuwachs dieser Gruppe von Pflegebedürftigen zu rechnen.

Wichtig für (potenzielle) Leistungserbringer

Die Landesverbände der Krankenkassen und Ersatzkassen werden durch das neue Gesetz verpflichtet, mit allen Leistungserbringern der außerklinischen Intensivpflege gemeinsam und einheitlich Verträge als Kollektivverträge zu schließen. Denn der hochsensible Versorgungsbereich der Intensivpflege soll nicht Gegenstand des Wettbewerbs der Kassen sein.

Noch zu erarbeitende Rahmenempfehlungen werden diesen Verträgen zugrunde gelegt. Die Basis ist auch hier: Die Bezahlung von Gehältern bis zur Höhe tarifvertraglich vereinbarter Vergütungen kann nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden.

In den bundeseinheitlichen Rahmenempfehlungen gemäß § 132l SGB V werden die Maßnahmen zur Qualitätssicherung in der außerklinischen Intensivpflege formuliert. Die Rahmenempfehlungspartner, Trägerverbände und Krankenkassen, erarbeiten dazu binnen zwei Jahren Anforderungen – mit Blick auf den jeweiligen Leistungsort. Das betrifft u. a. die personellen Anforderungen an die pflegerische Versorgung in puncto Qualifikation und Personalbedarf.

Und wie sieht es in der Übergangszeit mit den Verträgen aus? Hier lautet die Empfehlung der Krankenkassen (Quelle: ikk) vor allem, vertragslose Zustände zu vermeiden. Bisherige Verträge nach § 132a Abs. 4 SGB V gelten solange fort, bis sie durch neue Verträge nach § 132l Abs. 5 Satz 1 SGB V abgelöst werden, längstens jedoch für zwölf Monate nach Vereinbarung der Rahmenempfehlungen.

  • In der Praxis sollten Leistungserbringer, zur Vermeidung von Unsicherheiten, den Austausch mit den Kostenträgern suchen – für Einzel- bzw. Erweiterungsverhandlungen.

Ambulante Anbieter: Zielgruppe im Blick

Für ambulante Anbieter der Intensivpflege kommen im Kontext des neuen Gesetzes verschiedene Fragen auf. Das betrifft zunächst die Qualitätsanforderungen der ausstehenden Rahmenempfehlungen (u. a. personelle Anforderungen/Personalvorhaltung). Zwar gibt es bereits jetzt Qualitätsvorgaben mit den Rahmenempfehlungen für die häusliche Krankenpflege (nach § 132a Abs. 1 SGB V) und/oder Einzelverhandlungen für intensivpflegerische Patient*innen. Es ist aber anzunehmen, dass die neuen Empfehlungen für die Intensivpflege strikter ausfallen.

Könnten die Anforderungen und Anreize für die stationäre Versorgung ambulante Anbieter unter Umständen aus dem Markt verdrängen? Nach Gesprächen mit erfahrenen Anbietern der Branche gehen wir davon aus, dass spezialisierte Dienste die Kriterien auch künftig erfüllen können.

Als schwierig könnte sich für Anbieter vielerorts die vorgegebene Zusammenarbeit mit spezialisierten Vertragsärzt*innen erweisen. Der anhaltende Facharztmangel könnte die Gewinnung von Patient*innen erschweren.

Bei der Abwägung, ob ein Markteinstieg oder eine Ausweitung der Leistungen im Bereich außerklinische Intensivpflege sinnvoll ist, spielt auch die Zielgruppe eine Rolle. Die finanziellen Anreize dürften für einige Leistungsberechtigte die Wahl eines stationären Angebots nahelegen. Der überwiegende Anteil derer, die sich die Versorgung im häuslichen Setting bisher leisten konnten und wollten, wird es voraussichtlich aber auch in Zukunft tun (können). Insbesondere für jüngere Personen und diejenigen, die in familiäre und andere Netzwerke eingebunden sind, wird wohl auch in Zukunft die häusliche Versorgung die erste Wahl sein.

Über den Inhalt der Rahmenempfehlungen und damit auch die Kriterien für die Eignung der eigenen Häuslichkeit als Leistungsort lässt sich momentan nur spekulieren. Neben den Basisvoraussetzungen wie z. B. Wasser und Strom könnte die Größe der Räumlichkeiten eine Rolle spielen.

  • Nicht auszuschließen ist, dass kleinere, einzelunternehmerisch geführte Intensivpflegewohngemeinschaften dem Druck durch kostenintensive Anpassungsmaßnahmen der Wohnstätten nicht standhalten können.

Stationäre Anbieter: Einstieg gut durchdenken

Für stationäre Anbieter nach SGB XI stellt sich aktuell die Frage, ob es sich lohnt, ein Angebot von außerklinischen Intensivpflegeplätzen neueinzurichten. Es ist davon auszugehen, dass auch für sie hohe qualitative Anforderungen, insbesondere auch bei der Personalqualifikation, gelten werden. Diese werden denen im ambulanten Bereich wohl nicht nachstehen. Die Zusammenarbeit mit spezialisierten Ärzt*innen ist für Einrichtungen gleichermaßen eine mögliche Hürde. Grundsätzlich sollten stationäre Einrichtungen die Erweiterung des Portfolios gut durchdenken, um sich nicht in strukturelle Schwierigkeiten zu bringen.

Vor dem Hintergrund, dass zuletzt Marktprofilierungen stationärer Pflegeeinrichtungen durch Spezialisierungen notwendig wurden, könnte die Angebotserweiterung auf außerklinische Intensivpflegeplätze dennoch eine interessante Option sein. Geht man von den oben hochgerechneten 2.000 bis 5.000 potenziell Betroffenen als (neuem) außerklinischen Intensivpflege-Markt aus, wären dies bei insgesamt 15.380 Pflegeheimen in Deutschland (Stand 2019, Statista) rein rechnerisch im Schnitt rund 0,1 bis 0,3 intensivpflegerische Patient*innen pro Pflegeheim.

Bisher gibt es in Deutschland ca. 250 stationäre Pflegeeinrichtungen mit Spezialisierungen auf Beatmungspflege, ca. 126 im Bereich der Versorgung von Patient*innen in der Phase F, sowie ca. 40 Einrichtungen, die sich auf die Pflege von Schädel-Hirn-Verletzten spezialisiert haben. Diese Einrichtungen wären theoretisch schon jetzt in der Lage, die Versorgung dieser Betroffenen durchzuführen, vorausgesetzt die Versicherten entsprechen den gesetzlichen Anforderungen für den Leistungsanspruch gem. § 37c SGB V (Zahlen: pflegemarkt.com).

Angesichts der genannten Zahlen ist davon auszugehen, dass der Markt auch für Pflegeeinrichtungen, die mit einer neuen Intensivpflege-Spezialisierung beginnen wollen, ein gewisses Potenzial bietet.

Einrichtungen, die dieses Potenzial ausschöpfen möchten, können mit dem vorhandenen Wissen vorbereitend eine Realisierungsstrategie entwickeln. Abhängig davon, welche Anforderungen die ausgestalteten Rahmenempfehlungen vorsehen, sollte diese Strategie zum gegebenen Zeitpunkt nachjustiert werden. Dies schließt jedoch erste Umsetzungsschritte schon heute nicht aus.

Anfallende Investitionen dürften sich für die Einrichtungen im Rahmen halten. Zumindest im Hinblick auf die dann benötigten spezialisierten Hilfsmittel, wenn diese in den Bereich der Kassenleistungen fallen.

Insbesondere müssten Einrichtungen aber kritisch prüfen, inwieweit die Qualifikation des Stammpersonals gegeben ist. In den meisten Fällen werden Nachschulungen, Weiterbildungen und/oder zusätzliches spezialisiertes Personal benötigt werden. Letzteres ist bekanntermaßen eine knappe Ressource und dürfte die Anbieter vor große Herausforderungen stellen (s. auch: Dr. O. Stegemann, Altenheim, 01/2021).

Intensivpflege: Wer sich gut aufstellt, wird Erfolg haben

Aktuell bringt das GKV-IPReG noch Fragen mit sich – für Patient*innen, Leistungserbringer und Kostenträger. Bis sich die Richtlinie des G-BA und vor allem die Rahmenempfehlungen konkretisieren, fehlt dem Gesetz das ,Handwerkszeug‘. Dennoch lässt das vorhandene Wissen schon Annahmen und Handlungsoptionen zu:

  • Für spezialisierte, erfahrene Anbieter in der ambulanten Pflege wird wohl der Markt weiterhin vorhanden sein. Insbesondere durch die jüngeren Intensivpflege-Patient*innen dürfte dieser von Stabilität geprägt sein. Es lohnt sich aber stets der Blick auf die Konkurrenz in der Region: Welche Alleinstellungsmerkmale haben Sie gegenüber Ihrem Wettbewerb bereits bzw. welche können Sie neu schaffen?
  • Für stationäre Anbieter haben Spezialisierungen Potenzial. Einrichtungen, die sich im Bereich der außerklinischen Intensivpflege neu spezialisieren wollen, können bereits jetzt mit der Erarbeitung einer Realisierungsstrategie beginnen. Einige Hürden sind zu bedenken, daher ist die gute Vorbereitung das A und O. Wichtig sind: Die Prüfung und Sicherung der eigenen Voraussetzungen, eine ausführliche Marktanalyse mit Blick auf die Region, ein ausgereiftes Spezialisierungskonzept sowie die notwendigen individuellen Verhandlungen mit den Kostenträgern.

Unsere Prognose: Wer die Spezialisierung mit Überzeugung, bedarfsgerechtem Personaleinsatz und guter Vernetzung (weiter)macht, wird mit seinem Konzept Erfolg haben. Gerne unterstützen wir Sie dabei.

Text: Susanne Rösler/Linda Englisch

© Titelbild: Kiryl Lis/Adobe Stock

Susanne Rösler

Porträt Susanne Rösler, Management- und Organisationsberaterin, der contec

Ob ambulant oder stationär: Wir beraten Sie strategisch zur Spezialisierung in der außerklinischen Intensivpflege und setzen mit Ihnen neue Strategien und Konzepte um.