„Wir haben es selbst in der Hand“: care4future und die Nachwuchssicherung in der Pflege

care4future
Montag, 06 Mai 2019 16:41

Der Pflegenotstand, die Sicherung des Pflegenachwuchses und die Arbeitsbedingungen in den Pflegeberufen sind aktuell die Top-Themen, auch in branchenübergreifenden Medien. contec hat bereits 2013 mit dem Konzept care4future eine innovative Offensive für die Gewinnung von Auszubildenden für die Pflege gestartet. Einer, der seit 2014 dabei ist, ist Christian Schulze, Einrichtungsleiter des AWO Seniorenzentrums Beerendorf. Uns hat er erzählt, warum er nach wie vor auf das Konzept care4future setzt und was es seiner Ansicht nach darüber hinaus braucht, um den Pflegenachwuchs zu sichern.

Christian Schulze

Christian Schulze

Herr Schulze, bereits 2014 hat Ihre Organisation mit den Vorbereitungen für einen care4future Kurs begonnen, im Schuljahr 2015/2016 sind Sie dann offiziell Teil des care4future Netzwerkes geworden, als der erste Kurs gestartet ist. Was hat Sie damals dazu bewogen, dem Konzept eine Chance zu geben?

Ich bin jetzt seit 21 Jahren Einrichtungsleiter des AWO Seniorenzentrums Beerendorf und wir haben schon immer die Erfahrung gemacht, dass es sinnvoll ist, die jungen Leute so früh wie möglich abzuholen, sei es nun durch Ferienarbeit oder ein FSJ. Die positiven Erfahrungen auf niederschwelligem Niveau helfen dabei, das schlechte Image der Pflege abzubauen. Da war eine Idee wie care4future nur logisch und das wollten wir ausprobieren.

Mit Erfolg, denn Sie sind ja nach wie vor dabei. Welche Erfahrungen machen Sie damit?

Die Erfahrungen beginnen ja schon bei der Resonanz auf die Werbung für unsere Kurse, mit der wir ein halbes Jahr vorher beginnen. Da sind die Reaktionen ganz unterschiedlich. Es gibt Achtklässler und Achtklässlerinnen, die großes Interesse an einem solchen Neigungskurs zeigen, andere wiederum möchten gar nichts damit zu tun haben. So sind wir immer gespannt, wie viele im neuen Schuljahr zusammenkommen. Am Ende waren es bisher immer zehn bis zwölf Teilnehmende, vorwiegend Schülerinnen, die bei care4future mitgemacht haben.

Können Sie Zahlen nennen, wie viele Auszubildende oder anderweitig Beschäftigte Sie durch care4future gewinnen?

Im allerersten Kurs gab es eine spannende Geschichte. Eine junge Frau, die über care4future auf unser Haus aufmerksam geworden war, sprach uns an, weil sie gern eine Ausbildung zur Köchin bei uns machen wollte. Bis dato gab es diese Möglichkeit bei uns gar nicht, aber so haben wir die Ausbildungsstelle bei uns eingerichtet und auf anderer Seite davon profitiert. Aus dem zweiten Kurs konnten wir zwei FSJlerinnen mit einem Hauptschulabschluss gewinnen und auch aus dem dritten Kurs ging ein FSJ hervor, nach dem auch der Gang in die Ausbildung nun kurz bevorsteht. Wir saugen also aus verschiedenen Richtungen Honig und das zeigt, wie vielfältig die Chancen des Projektes care4future sind.

Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit den anderen Netzwerkpartnern?

Das ist ein sehr wichtiger Nebeneffekt. Durch care4future hat sich eine sehr gute Zusammenarbeit entwickelt, sowohl mit der allgemeinbildenden als auch mit der Berufsschule. Es herrscht ein andauernder intensiver Austausch. Die Schule freut sich auch dann, wenn ihre Schüler und Schülerinnen vielleicht nicht an care4future teilnehmen, aber unter Umständen Ferienarbeit bei uns verrichten und sich so persönlich weiterbilden. Und mit der Ausbildungsstätte sind wir zwar ohnehin in Kontakt wegen der Auszubildenden, aber durch die intensivere Zusammenarbeit besteht ein viel größerer Handlungsspielraum. Man kann schneller und effektiver einsteigen, wenn es z. B. um Fehlzeiten geht und direkt schauen, wo die Ursachen liegen, was man tun kann. Die Zusammenarbeit ist sehr angenehm und alle Seiten profitieren davon.

Was für Vorteile hat eine solche regionale und strukturierte Netzwerkarbeit?

Jeder bringt eben seine Qualitäten ein, es entstehen verschiedenste Befruchtungsebenen. Die Mittelschulen freuen sich über Ferienarbeit und das Wissen, dass ein Teil ihrer Schüler und Schülerinnen nach dem Abschluss einen guten Weg geht, die Pflegeschulen freuen sich über den engen Kontakt zur Einrichtung und wir erleben eine Art Selbstläufer-Marketing, weil positiv über uns berichtet wird. Der eine Part profitiert von den Pressekontakten des anderen und umgekehrt. Ich habe ja selbst care4future in den Landkreis weitergetragen, habe es in einer Arbeitsgruppe, in der ich Mitglied bin, die ein seniorenbezogenes Leitbild erarbeitete und sich mit der Fachkräfteproblematik auseinandergesetzt hat, vorgestellt. Erst vor wenigen Wochen wurde ich eingeladen, beim Pflegedialog mit der Sozialministerin von Sachsen, Barbara Klepsch, einen Workshop zum Thema Aus- und Weiterbildung in der Pflege mitzugestalten. Mit care4future gewinnt man nicht nur Nachwuchs, man präsentiert sich als innovative und engagierte Organisation und erzielt damit gleichzeitig einen Marketing-Effekt.

Und wie läuft es mit den Schülern und Schülerinnen? Können Sie eine Entwicklung in der Haltung gegenüber dem Pflegeberuf erkennen?

Das kann ich uneingeschränkt bejahen, selbst wenn es nicht sofort den Eindruck macht und oft zunächst große Zurückhaltung spürbar ist. Es hängt sicherlich auch von den Mitarbeitenden der Einrichtung ab, mit denen die Schüler und Schülerinnen zusammenarbeiten, und davon, welche Aufgaben sie bekommen. Jeder Gang in ein Altenpflegeheim, der einen positiven Eindruck vermittelt, baut Vorurteile ab und fördert eine positive Einstellung alten Menschen und dem Pflegeberuf gegenüber. Das hilft nach und nach, das Image der Pflege aufzubessern. Selbst wenn nicht alle Teilnehmenden eines Kurses auch in die Ausbildung gehen, tragen sie ihre Erfahrungen weiter.

Welche Maßnahmen halten Sie über care4future hinaus für notwendig, um den Pflegenachwuchs zu sichern?

Es läuft darauf hinaus, den jungen Menschen gegenüber uneingeschränkt offen zu sein, auch mal den Mut zu haben, Leuten eine zweite Chance zu geben, die vielleicht mal gestrauchelt sind, oder Lösungen zu finden, wie man auch die 17-Jährige mit Kind einbeziehen kann. Erst neulich hatten wir einen jungen Mann da, der Sozialstunden bei uns leisten musste wegen irgendeines Schabernacks. Letztendlich hat es ihm gut bei uns gefallen, wir haben ihn ordentlich behandelt und eine gute Beurteilung geschrieben und nun kommt er vielleicht für die Ferienarbeit wieder. Eine gute Mund-zu-Mund-Propaganda ist viel wert, deshalb auch der Fokus auf die regionalen Aspekte, hier liegt ein großer Teil der Lösung für unsere Nachwuchsprobleme.

Ganz persönlich bleibe ich außerdem bei meinem Standpunkt, dass wir es selbst in der Hand haben, ob wir Nachwuchs gewinnen oder nicht, Stichwort Arbeitsbedingungen. Wenn wir Pflegende ordentlich bezahlen und ordentlich behandeln, kommen sie auch gern in die Altenpflegeheime und der Beruf bekommt ein besseres Ansehen für den potenziellen Nachwuchs. Wenn es nur um Geld ginge, dann wäre das mit einer einfachen Lösung getan: mit einem allgemeinverbindlichen, flächendeckenden Tarifvertrag, da bin ich sehr für. Aber das ist eben nicht das einzige Argument. Menschen, die sich für diesen Beruf entscheiden, tun das ja nicht nur wegen des Geldverdienens, sondern wegen der Arbeit am Menschen. Doch wenn dann die Umstände nicht stimmen – schlechte Stimmung im Team, Unterbezahlung – dann gibt es Gründe, den Arbeitsplatz zu wechseln. Manchmal werde ich ungläubig angesehen, wenn neue Mitarbeitende erfahren, dass sie neben der tariflichen Bezahlung noch Urlaubs- und Weihnachtsgeld erhalten, einen Betriebsrat haben und ein betriebliches Gesundheitsmanagement vorfinden, aber das machen schon viele Träger. Es geht oftmals vielmehr um die Stimmung und den Umgang untereinander. Darauf müssen wir vor Ort viel Wert legen. Jedes einzelne Pflegeheim trägt zu dem Gesamtbild des Berufes bei.

Ein letzter Punkt, der mir wichtig ist, wenn es um Nachwuchsgewinnung und Fachkräftesicherung geht, ist die Migration. Hier liegt sehr viel Potenzial. Wir haben z. B. einem jungen Inder in enger Zusammenarbeit mit Jobcenter, Ausländerbehörde und Berufsberatungszentrum eine Wohnung besorgt und ein FSJ bei uns ermöglicht. Jetzt befindet er sich im dritten Ausbildungsjahr zum Altenpfleger.

Infolgedessen wurde er nicht abgeschoben und hat hoffentlich gute Chancen auf unserem Arbeitsmarkt. Bei diesem großen Thema gilt es aber auch, die anderen Mitarbeitenden mit einzubeziehen, denn jede Belegschaft ist ein kleines Abbild unserer Gesellschaft und auch hier müssen Ressentiments abgebaut werden. Manchmal hilft es dann, die Leitsätze der AWO zu propagieren.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Schulze!

care4future ist das innovative Konzept der contec zur Sicherung des Pflegenachwuchses. In regionalen Netzwerken aus Anbietern der Altenhilfe, allgemeinbildenden und Berufsschulen werden Wahlpflichtkurse für Schülerinnen und Schüler zur Orientierung bei der Berufswahl angeboten. care4future wird auch von Seiten der Länder und Kommunen unterstützt. Erfahren Sie hier mehr oder auf care4future.de .

 

Text: Marie Kramp
©YanLev/shutterstock.com

Sina Steffen

Portrait von Sina Matysek, Personal- und Organisationsberaterin, der contec

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