„Das Motto ‚jeder kann pflegen‘ ist fehl am Platz, und vermittelt ein falsches Image des Berufes“

Zilezinski
Montag, 10 Dezember 2018 13:54

Wie schlecht steht es wirklich um unseren Pflegenachwuchs? Die Auszubildendenzahlen steigen zwar, aber der zu erwartende Bedarf an Pflegefachkräften wird damit nicht zu decken sein. Das Thema Pflegeausbildung kann in seiner Relevanz kaum überschätzt werden, prägt doch diese Phase maßgeblich, ob junge Pflegende sich nachhaltig mit ihrem Beruf identifizieren können. Das hat auch die Bundesregierung erkannt und widmet dem Thema Ausbildung eine eigene Arbeitsgruppe in der Konzertierten Aktion Pflege. Wir haben einigen wichtigen Vertreter*innen der Branche dieselben Fragen gestellt, um unterschiedliche Perspektiven auf Fragen der Generalistik, der Qualität, der Digitalisierung und der Wertschätzung in der Pflegeausbildung zu beleuchten.

Lesen Sie hier das Interview mit Max Zilesinski, AG Junge Pflege des DbfK.

Wie steht es Ihrer Meinung nach um den Pflegenachwuchs in Deutschland?

Der Gesetzgeber sollte sich dringend auf den Weg machen, die Rahmenbedingungen für die Pflegeausbildung zu verbessern, um die oftmals unzureichende Praxisanleitung abzulösen. Die Pflicht zur Praxisanleitung sollte über den gesetzlichen Rahmen von 10% erweitert werden, damit die Auszubildenden nicht, wie vorherrschend, größtenteils als volle Mitarbeitende ohne ausreichende Möglichkeit einer fundierten praktischen Anleitung eingesetzt werden. Auszubildenden müssen genügend Praxisanleiter zur Verfügung stehen – das findet aber größtenteils nicht statt, und dadurch verliert man häufig wertvolles Personal. Ebenso ist es von großer Bedeutung, dem Pflegenachwuchs eine fundierte Ausbildung zukommen zu lassen. Das Motto „jeder kann pflegen“ oder „mit 200 Stunden Weiterbildungskurs kann man Menschen angemessen versorgen“ ist völlig fehl am Platz, und vermittelt zudem ein falsches Image von diesem so verantwortungsvollen Berufsfeld, bei dem es um Menschenleben geht.

Pflegeberufegesetz – gut oder schlecht?

Auf dieses Gesetz wird man aufbauen können, viele Dinge werden sich, besonders im Bereich der Gesundheits- und Krankenpflege, positiv entwickeln. Ebenso ist die Verankerung von Vorbehaltsaufgaben eine sehr gute Entscheidung. Die generalistische Ausbildung, wie sie jetzt vorgesehen ist, birgt aber einige Schwächen: Zunächst werden Auszubildende, die sich nach zwei Jahren für einen der beiden spezialisierten Bereiche entscheiden, nicht in anderen Bereichen arbeiten können. Die Gesetzeslage sollte sich dahingehend ändern, erst nach der dreijährigen Ausbildung eine Spezialisierung auf einen Zweig vorzunehmen. Zudem wird es zu einer Ausdifferenzierung der Schulen kommen, der Gesetzgeber fordert verschiedene Abschlüsse, die die Schulen gar nicht alle anbieten können.

Welche Probleme sehen Sie hinsichtlich der Qualität der Pflegeausbildung?

Die größte Herausforderung für die Zukunft wird sein, dass die Zugangsvoraussetzungen nicht weiter herabgesetzt werden. Der große Fehler der Politik ist es, den Pflegeberuf so darzustellen, als könne „jeder“ das machen. Die Qualität der Ausbildung darf nicht sinken – in den Schulen wird ein sehr heterogenes Schüler-Auszubildenden-Klientel sitzen, da ist Frustration vorprogrammiert: Die, die nicht mitkommen, stehen im Gegensatz zu den SchülerInnen, die voranschreiten wollen. Im Sinne der Qualität der Versorgung unserer Gesellschaft ist es auch nicht nachvollziehbar, dass die Zugangsvoraussetzungen für die Altenpflege auf Hauptschul-Niveau herabgesetzt werden sollen. Die sinnvollste Lösung wäre gewesen, den Pflegeberuf als Studium anzubieten, wie es das europäische Ausland längst macht – das erhöht die Wertschätzung und vor allem die Qualität der Pflege.

Findet Ihrer Meinung nach eine ausreichende Vorbereitung des Nachwuchses auf die Digitalisierung im Arbeitsalltag statt?

Die junge Generation ist gut vorbereitet, sie leben quasi „im“ Internet und „in“ der digitalen Welt. Sie werden wenig Probleme, auch in Hinblick auf die Handhabung, haben. Wichtig ist, dass den Auszubildenden gezielte Inhalte vermittelt werden, wie man mit bestimmten sensiblen Daten umgeht. Dazu gehört ebenso, ethisch-moralische Fragen zu diskutieren, z.B. in Hinblick auf die Robotik. Zu diesen Themen sollte es dann auch gezielte Lerninhalte geben.

Was sind Ihre Erwartungen an die Konzertierte Aktion Pflege?

Wir brauchen eine klare Umsetzung der Forderungen im Sinne eines Masterplans Pflege. Wichtig ist, dass die Politik nicht nur nach außen hin wirkt, sondern auch klare Maßnahmen verankert und umsetzt. Die Interessenvertretung ist sehr heterogen und da besteht leicht die Gefahr, dass der Fortschritt des Masterplans gebremst und gehemmt wird. Zudem wird auch durch die Emanzipation der Pflege genau hingeschaut, was die Politik umsetzen wird – ein schmaler Grat zwischen Erfolg und Scheitern ist vorprogrammiert.

Welche Gründe bewegen Jugendliche dazu, eine Ausbildung in der Pflege zu beginnen bzw. nicht zu beginnen?

Wichtig ist hierbei vor allem, den Wert und Sinn der Ausbildung zu verstehen. Jugendliche, die eine Ausbildung beginnen, arbeiten gerne professionell mit Menschen. Zudem macht es Spaß und ist eine große Herausforderung, eben gerade, weil es auf einer professionellen Ebene stattfindet. Wenn der oder die Auszubildende erfährt, dass es dem Patienten durch diese Unterstützung wieder gut geht, wirkt die Tätigkeit stark auf der persönlichen Ebene und gibt ihm oder ihr viel. Im Gegensatz zu Medizinern haben Pflegefachpersonen ebenso eine viel stärkere Bindung und Interaktionsbreite zu dem jeweiligen Menschen. Schade ist jedoch, dass das schlechte Image nach außen (vieles sei schlecht, vieles liege im Argen etc.) Jugendliche daran hindert, eine Ausbildung zu beginnen. Trotz der herausfordernden Arbeitsbedingungen versuchen professionell Pflegende PatientInnen/BewohnerInnen/KlientInnen in Deutschland so gut es geht zu versorgen, und dies sollte sich auch in einer Anerkennung der Pflegenden niederschlagen.

Welchen Stellenwert hat die Akademisierung der Pflege im momentanen Kontext?

Die Akademisierung wird uns in den nächsten Jahren noch sehr bewegen. Die steigenden Versorgungsbedarfe der Zukunft können dann nämlich anhand von akademisierten Fachkräften gedeckt werden. Im Ausland werden ärztlich unterversorgte Bereiche bereits durch Pflegefachpersonen mit akademischem Abschluss und erweiterter klinischer Pflegepraxis kompensiert, die dort pflegerische Diagnostik betreiben und medizinische Versorgung mitsteuern. Die Politik in Deutschland muss sich hier auf den Weg machen und diesen akademisierten Pflegefachkräften außerdem mehr Entscheidungsfreiheiten zugestehen. Ein praktisches Beispiel: In unserem arztorientierten System darf eine studierte Pflegefachperson einem gehbeeinträchtigten Patienten keinen Rollator verschreiben, obwohl sie, von ihrer fachlichen Kompetenz, sehr wohl dazu in der Lage ist. Ein wichtiger Punkt im Studium ist, dass die studierten Fachkräfte eine fundierte Praxisanleitung von pädagogisch geschulten Akademikern brauchen.

Sina Steffen

Portrait von Sina Matysek, Personal- und Organisationsberaterin, der contec

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