KI: der Schlüssel für Pflegequalität trotz Fachkräftemangel?

Montag, 27 November 2023 14:28

Der Fachkräftemangel als prägendes Problem der Pflegebranche wird uns auch in den kommenden Jahren begleiten – das ist nicht mehr überraschend. Aber wie kann die Pflege damit umgehen? Verschiedenste Lösungsansätze werden derzeit diskutiert, entwickelt und erprobt. Ein Zusammenschluss von KI- und Pflege-Expert*innen widmet sich nun einem ungewöhnlichen Ansatz: Mit KI und nur 25 % der derzeit erforderlichen Fachkräfte in rund 10 Jahren die Versorgung sicherstellen – ist das realistisch? Und wie lässt dieser Ansatz umsetzen?

KI bietet der Pflegebranche eine Fülle an Möglichkeiten von der Automatisierung routinemäßiger Aufgaben bis hin zur Vorhersage von Gesundheitsrisiken. KI-Technologien können dazu beitragen, das Pflegepersonal zu entlasten und die Qualität der Pflege zu verbessern. Um die Möglichkeiten von KI in der Pflege weiter zu ergründen, schließt sich ein Team aus Expert*innen – sowohl für KI und deren Einsatzmöglichkeiten als auch für die Gegebenheiten der Pflegebranche – zusammen. Der Zusammenschluss von KI-Park, KI-Servicezentrum des Hasso-Plattner-Instituts, IEGUS und contec startete im November mit einem Online Visionsworkshop zum Thema: „KI: der Schlüssel für Pflegequalität trotz Fachkräftemangel?“ in das Vorhaben.

Einige große Trends und Herausforderungen, die die Pflege noch im Jahr 2023 betreffen werden, sind der Aufbau einer wirkungsvollen Prävention, Strukturen für starke Quartiere und sorgende Gemeinschaften, eine flexible Leistungserbringung zur Förderung der Selbstbestimmung im Alter sowie die Professionalisierung des Fachkräfteeinsatzes. Bei einigen dieser Probleme kommen KI-Technologien zur Unterstützung infrage. Welche das sind, wie sie Aufgaben übernehmen und in welchem Umfang sie eingesetzt werden, gilt es herauszufinden. Im Fokus des ersten Workshops am 15. November 2023 stand deshalb die Frage:

Wie können wir bis 2035 mit nur 25 % der derzeit erforderlichen Fachkräfte durch den Einsatz von KI die Versorgungsqualität von KI in der Pflege sicherstellen?

Anwendungsfelder von KI in der Pflege

Grundsätzlich basieren KI-Anwendungen auf verschiedenen Datentypen – sie können Text- und Bilddaten, Signale sowie tabellarische Daten verwerten. Und die Datengrundlage bestimmt auch die Einsatzmöglichkeiten von KI in der Pflege mit. So können beispielsweise nicht in allen Kontexten Bilddaten erhoben werden. Das schließt schon allein aus diesem Grund einige Pflegebereiche für bildbasierte KI-Technologien aus. Dennoch gibt es viele verschiedene Anwendungsfelder, u. a.:

  • Analytik & Sensorik: Mit der Hilfe von Sensoren können beispielsweise Vitalparameter gemessen und überwacht und Liegepositionen zur Dekubitus-Prävention analysiert werden. Die Analyse von Daten kann die Vorsorge und Prävention unterstützen, z. B. durch eine Risikoeinschätzung.
  • Kommunikation & Interaktion: Intelligente Sprachassistenten können beispielsweise bei der Unterhaltung oder auch der kognitiven Förderung im Zusammenhang mit Pflege unterstützen.
  • Planung & Steuerung: KI-Technologien können z. B. bei der Dienst- und Einsatzplanung, aber auch bei der kommunalen Pflegestrukturplanung unterstützen, indem sie Planungsvorschläge geben, individuelle Bedarfe berücksichtigen und damit Arbeitspläne optimieren.
  • Funktionsübernahme: Einige, vor allem einfache, Tätigkeiten können in der Pflege durch KI-Technologien übernommen werden. Darunter fallen z. B. Planungs- und Dokumentationstätigkeiten, aber auch die Bewegungsförderung oder intellektuelle Anregung für Gepflegte.

Diese und weitere Anwendungsfelder sind längst nicht nur theoretisches Wissen darüber, was in zehn Jahren möglich sein könnte. KI in der Pflege ist stattdessen längst Realität. Denn sie bietet eine erhebliche Entlastung für pflegende Personen – im professionellen sowie im häuslichen Umfeld. Um die Bandbreite bereits entwickelter Technologien und deren Einsatzbereichen aufzuzeigen, hatten im Rahmen des Visionsworkshops fünf StartUps die Chance, ihre Produkte vorzustellen. Perspective Care, Lindera, VIVAIcare, Cliniserve und BEJOY sprachen über ihre Entstehung und Zielsetzungen und boten den Teilnehmer*innen die Möglichkeit, praxisbezogene Fragen zu stellen.

Entlastung von Pflegenden ohne Bevormundung der Pflegebedürftigen

Auch die Erfahrungen der Teilnehmer*innen waren im Workshop gefragt. In Gruppenarbeit diskutierten sie entlang der zugrunde liegenden Fragestellung. Im Ergebnis entstanden vielfältige Visionen darüber, wie KI die Pflege unterstützen und vor allem die Fachkräfte in der Pflegebranche entlasten könne. Grundsätzlich waren sich die Teilnehmer*innen einig, dass eine Entlastung vor allem bei einfachen Tätigkeiten möglich ist und den Fachkräften damit Freiräume für eine individuelle, qualitativ hochwertige Pflege gibt. Wichtig dabei: Die Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen muss immer im Vordergrund stehen. Mit der Analyse und Auswertung von Gesundheitsdaten kann zudem die Vorsorge in hohem Maße unterstützt werden.

Und auch für Senior*innen bietet KI Chancen: Durch Unterstützung im Alltag, beispielsweise mit Sensoren in der eigenen Wohnung oder der Möglichkeit, Angehörige sowie Pflegekräfte sprachgebunden zu erreichen, können sie häufig länger im eigenen Zuhause bleiben. Damit positive Effekte entstehen können, müssen wir den Einsatz von KI auf allen Ebenen denken: von der Verwaltung über die Führungs- und Pflegekräfte bis hin zu den Klient*innen. Eine technologieoffene Einstellung und das Berücksichtigen individueller Bedarfe sind dabei unerlässlich.

Wie geht es weiter?

Aber was war nun das Fazit des Workshops? Wir stehen am Anfang eines Prozesses, der viele Chancen mit sich bringt, wenn die richtigen Schritte gegangen werden. Zum Beispiel ist eine interprofessionelle Zusammenarbeit mit IT-Expert*innen nötig, denn so gelingt es, Schnittstellenproblematiken zu vermeiden und neue Produkte bei bestehenden Anbietern zu integrieren. Hilfreich ist es zudem, bereits vorhandene Technologien weiter auszurollen. Werden doch neue Produkte entwickelt, so sind übergreifende Standards sowohl bezüglich des Datenaustauschs als auch der Schnittstellen wichtig für eine gute Qualität.

Mit dem Visionsworkshop sind wir also einen ersten wichtigen Schritt gegangen. Wir haben Pflege und KI zusammengebracht, einen Raum für Zukunftsvisionen gegeben und verschiedene Erfahrungen gebündelt. Doch unser Vorhaben soll hier nicht enden. Stattdessen haben wir schon im Workshop Ansätze für weitere Themen und Bedarfe gesammelt. Uns ist es ein Anliegen, bereits bestehende Produkte stärker in das Bewusstsein von Pflegekräften ebenso wie von pflegenden Angehörigen und zu pflegenden Personen zu bringen. Zudem ist ein übergreifender Erfahrungsaustausch zum Thema weiterhin gefragt und kann auch zukünftig verschiedene, wichtige Perspektiven aufzeigen und Engagierte zusammenbringen.