Personalsteuerung in der Kinder- und Jugendhilfe

Personalsteuerung in der Kinder und Jugendhilfe - zwei Personen bei der Dienstplanung
Dienstag, 24 Juni 2025 11:33

Eine unterschätzte Stellschraube im System

Die Kinder- und Jugendhilfe steht an einem Wendepunkt: Der zunehmende Fachkräftemangel, neue gesetzliche Rechtsansprüche und der hohe pädagogische Anspruch kollidieren immer häufiger mit der Realität der Personalressourcen vor Ort. In der öffentlichen Debatte steht zumeist der quantitative Mangel an Fachkräften im Vordergrund. Wir richten in diesem Beitrag den Fokus auf Qualität und Wirksamkeit sowie die Notwendigkeit der wirkungsorientierten Personalsteuerung.

Viele Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe arbeiten unter schwierigen Bedingungen: kurzfristige Ausfälle, eine hohe Personalfluktuation und steigende Bedarfe sowie Fallzahlen sind alltägliche Herausforderungen. Besonders gravierend sind die Auswirkungen in den Kindertageseinrichtungen, doch auch in den Hilfen zur Erziehung, in der Ganztagsbetreuung und der Jugendsozialarbeit steigt der Druck.

Im Jahresdurchschnitt 2023/24 wurden in den Bereichen Sozialarbeit und Sozialpädagogik etwa 18.300 unbesetzte Stellen (Fachkräfte) verzeichnet. Den größten Fachkräftemangel gab es mit rund 21.000 fehlenden Arbeitskräften in der Kinderbetreuung und -erziehung (vgl. Statista, 4.4.25). Die Folge: Pädagogische Arbeit wird immer häufiger zum ‚Feuerlöscher‘. Leitungskräfte agieren reaktiv statt steuernd und die Qualität der Betreuung leidet.

Dabei ist klar: Pädagogik braucht Verlässlichkeit. Beziehungskontinuität und Zeit für individuelles, planvolles und zielgerichtetes Handeln sind nicht „nice to have“, sondern Grundvoraussetzung für eine wirksame pädagogische Arbeit – besonders in stationären Settings. Personalsteuerung wird damit zum Schlüsselthema der pädagogischen Intervention. In der Praxis zeigt sich jedoch häufig ein anderes Bild: Dienstpläne werden mit hohem Aufwand erstellt und der Mangel durch Personalausfälle nur ‚verwaltet‘. Dabei wäre es dringend notwendig, die pädagogischen Bedarfe systematisch zu erheben und mit der betrieblichen Realität zu verknüpfen, um diese Erkenntnisse für eine gute Personalsteuerung nutzen zu können.

Von Pauschalen zu bedarfsgerechten Modellen

Statt pauschaler Tagesssätze und Stellenschlüssel braucht es in der Kinder- und Jugendhilfe Modelle, die die pädagogischen Zielsetzungen und individuellen Bedarfe differenziert abbilden. Dabei sind folgende Fragen individuell zu beantworten:

  • Was bedeutet es beispielsweise für den Personalbedarf, wenn eine Einrichtung rund um die Uhr eine Präsenz sicherstellen muss?
  • Welche Auswirkungen haben Gruppengröße, Teilzeitquoten oder spezialisierte Betreuungsformate?
  • Und wie kann man planvoll mit unvermeidbaren Ausfällen umgehen?

Es sind nicht nur fehlende Personen, die das System belasten, sondern häufig fehlende Strukturen. Ohne klare Prozesse, Zuständigkeiten und digitale Werkzeuge geraten selbst leistungsstarke Teams an ihre Steuerungsgrenzen. Dabei wäre vieles möglich: von verbindlichen Vertretungsregelungen über digitale Echtzeitplanung bis hin zu einem strategischen Ausfallmanagement.

Handlungsempfehlungen für eine wirksame Personalsteuerung in der Kinder- und Jugendhilfe

Die Personalsteuerung in der Kinder- und Jugendhilfe ist kein administratives Randthema – sie ist systemrelevant. Wer pädagogische Qualität sichern und Fachkräfte im System halten will, muss die Steuerungsfähigkeit seiner Organisation stärken und zentrale Maßnahmen zur Optimierung der Personalsteuerung angehen. In der Praxis bedeutet das auch, Routinen zu hinterfragen und individuelle Lösungsansätze zu entwickeln.

Personaleinsatz systematisch steuern und flexibel ausgestalten

Die Personaleinsatzsteuerung in der Kinder- und Jugendhilfe muss sich an pädagogischen Zielsetzungen (z. B. Inklusion, Beziehungsarbeit, Bildungsziele) und den realen Betreuungsbedarfen orientieren. Die Grundlage dafür bildet eine systematische Erhebung der individuellen Hilfebedarfe von Kindern und Jugendlichen. Diese kann etwa über Hilfepläne, Diagnostik und Beobachtungen erfolgen, um daraus den Personalbedarf abzuleiten. Eine einrichtungsspezifische Bedarfsplanung schont Ressourcen in der Dienstplanung und ermöglicht z. B. gezielte Verstärkungen in betreuungsintensiven Zeiten.

Ein „Best Practice“ bietet hierbei der Bereich der Elementarpädagogik: In vielen Kindertageseinrichtungen erweist sich ein flexibler Personaleinsatz als Erfolgsfaktor: Ein bedarfsorientiertes Einsatzmodell berücksichtigt sowohl saisonale als auch tageszeitliche Schwankungen. Auf dieser Basis können Dienstpläne transparent und frühzeitig erstellt werden, indem etwa feste Gruppen- und Öffnungszeiten bei der Planung mitbedacht werden. Auch Sonderbedarfe (heilpädagogische Angebote, Ganztagsbetreuung oder Freizeitdienste) werden so effizienter berücksichtigt. Dieser Planungsansatz reduziert Lücken und Überlastungen der Mitarbeitenden im Alltag und bringt Sicherheit für Mitarbeitende und Träger.

Eine frühzeitige und verlässliche Dienstplanung ist zudem ein zentraler Faktor für die Arbeitszufriedenheit pädagogischer Fachkräfte. Besonders vorteilhaft wirken sich Dienstpläne aus, die mit einem längeren Planungshorizont erstellt werden. Empirische Untersuchungen, u. a. von der Unfallkasse NRW, belegen dabei den positiven Zusammenhang zwischen verlässlichen, planbaren Dienstzeiten und der Arbeitszufriedenheit pädagogischer Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen. Planbare Arbeitszeiten zählen zu den gesundheitsförderlichen Rahmenbedingungen, die nicht nur das Wohlbefinden der Beschäftigten steigern, sondern auch deren langfristige Beschäftigungsfähigkeit unterstützen. In der Konsequenz leisten verlässliche Dienstpläne einen wichtigen Beitrag zur Mitarbeiterbindung und Sicherung der pädagogischen Qualität im Alltag.

Im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe ermöglicht der flexible Personaleinsatz eine bedarfsgerechte Abdeckung in betreuungsintensiveren Zeiten (z. B. bei akuten Krisen, Behördenterminen, Urlaub und Krankheit) und reduziert gleichzeitig die Ressourcen bei geplanten Leerläufen.

Empfehlenswert ist darüber hinaus die Entwicklung von Kompetenzprofilen für die jeweiligen Aufgabenfelder der Einrichtung, um den qualitativen und quantitativen Personalbedarf genauer zu bestimmen. Aufgabenportfolios lassen sich dann den Mitarbeitenden-Kompetenzen entsprechend strukturieren. Die Öffnung für neue Personal-Zielgruppen ermöglicht eine Entlastung der Fachkräfte, indem z. B. Nichtfachkräfte für die Unterstützung und Begleitung im (hauswirtschaftlichen) Alltag zum Einsatz kommen.

Digitalisierung für Entlastung und Effizienz nutzen

In der Digitalisierung liegen darüber hinaus große Chancen. Digitale Tools und Systeme können verwaltungsintensive Prozesse vereinfachen – von elektronischen Fallakten, über Terminverwaltung, Dienstplan-Software bis zu integrierten Hilfebedarfs- und Dokumentationssystemen. Mit Automatisierung und Vernetzung werden Informationen schneller verfügbar und Abstimmungswege verkürzt. Dadurch werden Abläufe effizienter und individuelle Bedarfe besser erfasst – was sowohl die Qualität der Angebote steigert als auch die Arbeit der Fachkräfte erleichtert.

In der Praxis kann etwa eine zentrale Softwarelösung für die Bedarfsermittlung (Betreuungsplätze, Personalstunden) die Einsatzplanung unterstützen. Standardisierte Arbeitsabläufe (Checklisten, Formularsysteme, digitale Schnittstellen zu Behörden) sorgen für Klarheit und reduzieren Doppelarbeit.

Entscheidend ist dabei, dass die Technik die fachlichen Zielsetzungen unterstützt: Die Digitalisierung soll pädagogische Qualität erhöhen, nicht ersetzen. Datenschutz- und Qualitätsstandards müssen gewahrt bleiben. Langfristig kann eine kluge Digitalisierungsstrategie dazu beitragen, mehr Ressourcen für die direkte Arbeit mit Kindern und Jugendlichen freizusetzen (lesen Sie dazu auch unseren aktuellen Beitrag zum Thema Digitalisierung).

Handlungsfähig bei hoher Qualität – durch erfolgreiche Personalsteuerung

Die Kinder- und Jugendhilfe braucht heute eine professionelle Personalarbeit, die planvoll und ganzheitlich die künftigen Herausforderungen angeht. Entscheider*innen sollten die skizzierten Hebel der Personalsteuerung dabei miteinander verzahnen.

So können Einrichtungen trotz Fachkräftemangel handlungsfähig bleiben und die hohen fachlichen Standards in der Kinder- und Jugendhilfe erfüllen. Die vorgestellten Maßnahmen sind dabei keine theoretischen Konzepte, sondern unmittelbar umsetzbare Handlungsoptionen. Einen niedrigschwelligen Startpunkt können in der Praxis Arbeitsgruppen für die Einsatzplanung oder auch Kompetenzanalysen darstellen.

Langfristig sichert eine konsequente Personalsteuerung in der Kinder- und Jugendhilfe nicht nur den betrieblichen Alltag, sondern auch die Betreuungsqualität und damit den Erfolg der Hilfen für Kinder und Jugendliche. Gerne unterstützen wir Sie mit unserer Erfahrung dabei, Prozesse und Strukturen ganzheitlich zu betrachten, zielgerichtet zu analysieren und dann gemeinsam mit Ihnen nachhaltig zu optimieren.

Text: Tobias Tomaszik, Annette Borgstedt, Linda Englisch
Foto: AYO Production/Shutterstock

Tobias Tomaszik

Portrait von Tobias Tomaszik, Management- und Organisationsberater, der contec

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