Interim-Management: Probleme identifizieren, Stärken nutzen, Mitarbeitende einbinden

Interim-Management
Mittwoch, 19 Juni 2019 09:51

Interim-Managerinnen und Interim-Manager helfen bei der Überbrückung von Vakanzen, können aber auch bestehende Strukturen mit unvoreingenommenem Blick erfassen und, wenn nötig, Veränderungen anstoßen. Sebastian Matysek, Organisationsberater bei der contec GmbH, kennt die Herausforderungen im Bereich Interim-Management in der Eingliederungshilfe und berichtet aus der Praxis.

Es gibt verschiedene Ausgangssituationen, in denen Einrichtungen der Eingliederungshilfe auf Ebene der Einrichtungsleitung oder auch Bereichsleitung mit einem Interim-Manager bzw. einer Interim-Managerin arbeiten. Ein häufiger Fall ist der, dass die Suche nach einer Nachfolge noch nicht abgeschlossen ist, sodass ein Interim-Management nötig wird, um den Übergang zu gestalten. Interim-Manager*innen kommen aber auch zum Einsatz, wenn eine Einrichtung sich in einer – fachlich, personell oder wirtschaftlich bedingten – Krise befindet und die notwendige Modernisierung nicht aus eigener Kraft leisten kann. Verlässt beispielsweise eine Leitung die Einrichtung, die ihre Stelle über einen sehr langen Zeitraum innehatte, sodass längere Zeit keine aktuellen fachlichen Impulse hinzukamen, bringt ein oder eine Interim-Manager*in die Chance, veraltete Strukturen zu aktualisieren. Bei der Auftragsklärung geht es um die Frage, in welcher Form Veränderungsprozesse während des Interim-Mandats angestoßen werden sollen und welche Themen unberührt bleiben.

Selbstbestimmung, Inklusion und Personenorientierung stehen aus fachlicher Sicht aktuell im Vordergrund der Leistungen in der Eingliederungshilfe. Viele Einrichtungen und Leitungen ordnen diese Werte jedoch noch immer den betrieblichen Abläufen unter. Die aktuellen Herausforderungen durch die UN-Behindertenrechtskonvention und das Bundesteilhabegesetz sind für die langjährigen Leitungen von Einrichtungen der Eingliederungshilfe schwer zu überblicken, insbesondere wenn sie dauerhaft im operativen Tagesgeschäft gebunden sind. Häufig müsste die fachliche Weiterentwicklung zusätzlich zur Arbeit stattfinden, was nicht jedem Lebensentwurf entspricht. Hier geraten Prozesse ins Stocken, denn der Einrichtungsleitung kommt bei der Umstellung von institutions- auf personenzentrierte Leistungen eine zentrale Rolle zu. Die Träger achten teils noch zu wenig auf die Entlastung und den zeitlichen Ausgleich für die eigenen Leitungskräfte sowie den fachlichen Austausch der Führungskräfte untereinander, der für die Weiterentwicklung der Angebote nötig ist.

Interim-Management: Probleme identifizieren und Handlungsoptionen ausloten

Wie der oder die Interim-Manager*in vor Ort vorgeht, hängt zunächst davon ab, ob die vorherige Leitung noch vor Ort ist. Ist dies der Fall, kann eine geregelte Übergabe stattfinden. Mitunter ist eine Stelle aber zu Beginn eines Interim-Mandats schon seit einigen Wochen vakant, sodass der oder die Interim-Manager*in zunächst selbst die wichtigen Themen identifizieren muss, die es im Laufe des Mandats zu fokussieren gilt.

Die Anamnese der Herausforderungen lässt sich in drei zentrale Dimensionen gliedern:

1. Die Qualität der Leistungen

  • Besteht eine gute Versorgung der Bewohner*innen? Gibt es qualitative Beanstandungen? Gibt es Krisen aufgrund fachlicher Überforderungen? Wie ist die allgemeine Atmosphäre? Wie wird mit den Themen Selbstbestimmung, Inklusion und Teilhabe umgegangen? Wie ist die Wirksamkeit der Leistungen? Besteht ein Bezug zwischen den individuellen Zielen der Bewohner*innen und den Abläufen im Tagesgeschäft?

2. Die Belegungssituation

  • Sind alle Plätze belegt? Gibt es fehlerhafte Belegungen, die zu Überforderungssituationen führen? Gibt es Bedarfe, die nicht abgedeckt werden können? Wie ist die Gruppenkonstellation?

3. Die Personalsituation

  • Wie ist der Krankenstand? Gibt es Vakanzen oder sind alle Stellen besetzt? Können alle Schichten abgedeckt werden? Wie ist die Teamsituation? Wie ist der Umgangston im Team?

Nach der Bestandsaufnahme gilt es, die Themen zu sortieren und Prioritäten zu setzen. Erfahrungsgemäß liegt zumeist eine Kombination aus Problemen der unterschiedlichen Dimensionen vor. So ist es keine Seltenheit, dass ein fehlerhaftes Belegungsmanagement zu einer Überforderung des Personals in der Wohneinrichtung führt und dies mit vermehrten Krankheitsausfällen einhergeht. Die Krankheitsausfälle als Reaktion auf die Überforderung belasten dann die übrige Belegschaft weiter, sodass die Krise immer kritischer wird und die Einrichtung in eine Spirale gerät. In solchen Fällen braucht es eine klare Strategie, um die bestehenden Probleme anzugehen. Zwar ist manches nicht schnell zu ändern, ohne Perspektive sinkt jedoch die Bereitschaft und Motivation der Mitarbeitenden, der Veränderung die nötige Zeit zu geben. Daher ist eine transparente und nachvollziehbare Vorgehensweise unerlässlich, um die Belegschaft zu motivieren, den Weg der Veränderung mitzutragen. Auf dieses Engagement kann nicht verzichtet werden.

Die Anamnese ist auch deshalb wichtig, weil dabei neben den Problemen auch die Stärken der Einrichtung und damit Handlungsoptionen identifiziert werden. Gerade größere Einrichtungen unterschätzen häufig, dass sie durch die verschiedenen Wohngruppen sowie unterschiedlichen Zielgruppen und Kompetenzen der Mitarbeitenden auch unterschiedliche Bedarfe adressieren könnten. Hieraus ergeben sich Handlungsoptionen: Es kann zum Beispiel sinnvoll sein, in einem Wohnverbund eine undifferenzierte Belegung durch bedarfsorientierte Angebote zu ersetzen. Dafür ist es eventuell nötig, ein neues Team zur Begleitung von herausforderndem Verhalten zu gründen, zu schulen und zu begleiten, während sich ein anderes Team um den pflegeintensiven Bereich kümmert. Dann lässt sich gezielt die Expertise der einzelnen Teams stärken, sodass auch die Entwicklung der Mitarbeitenden erfolgen kann.

Die Suche nach freiwilligen Mitgliedern für die neuen Teams ist besonders überzeugend, wenn die Gruppen nicht einfach beliebig verändert werden, sondern wenn eine konzeptionelle Arbeit unter Beteiligung der Mitarbeitenden vorgeschaltet wird. Eine solche Strukturveränderung kann jedoch nur in Abstimmung mit dem Auftraggeber erfolgen. Der Fokus bei einem Interim-Mandat liegt zunächst auf der operativen Führung der Einrichtung oder des Bereichs und der Sicherstellung aller nötigen Leistungen zur Aufrechterhaltung des Betriebs. Deshalb ist es entscheidend, für die Mitarbeitenden vor Ort ansprechbar zu sein, die Einsatzplanung zu sichern und Qualitätssicherung zu betreiben.

Die richtige Führungsspanne finden und den fachlichen Austausch fördern

Häufig erleben wir, dass die Führungsspanne in Einrichtungen der Eingliederungshilfe zu groß ist, um eine effektive Zusammenarbeit in Teams zu ermöglichen. Dabei ist es weniger wichtig, ob die Teams bezogen auf Gruppen oder auf Wohnbereiche agieren – oder ob man mit Teamleitungen oder Wohnbereichsleitungen arbeitet. Beides kann gut funktionieren. Das gilt auch für Konzepte der Hierarchie oder Selbststeuerung. Es gibt nicht die eine richtige Organisationsform, entscheidend ist vielmehr, ob die Mitarbeitenden fachlich in die betrieblichen Entscheidungen eingebunden sind. Folgende Fragen sollten gestellt werden: Für wie viele Mitarbeiter ist die einzelne Führungskraft zuständig? Gibt es eine mittlere Führungsebene? Finden Teamsitzungen, Supervision und Case-Beratungen regelmäßig und auf einem angemessenen fachlichen Niveau statt?

Wenn die Führungsspanne zu groß ist, bricht häufig als erstes der fachliche Austausch weg. Die Qualität der Arbeit leidet dann aufgrund mangelnder Abstimmung bei inhaltlichen Fragen. Ebenso fehlt ein wichtiger Anker zur Reflexion der pädagogischen Handlungen. Häufig sind Themen in der alltäglichen Betreuung nicht pauschal zu entscheiden. Eine wertebasierte Grundhaltung bei den Mitarbeitenden ist daher unerlässlich. Damit diese entsteht und in der Diskussion ausgeprägt und korrigiert werden kann, ist der gemeinsame fachliche Austausch notwendig. Die verbindliche Teilnahme an Gruppenbesprechungen und deren inhaltliche Fokussierung auf die Bedarfe der Bewohner*innen sind von zentraler Bedeutung. Es reicht nicht, sich über organisatorische Belange und Termine zu verständigen. Die Ziele der individuellen Teilhabeplanungen müssen regelmäßiger Inhalt der Diskussion sein. Auch vor dem Hintergrund des BTHG und der zukünftig steigenden Wirksamkeitskontrolle ist es schon heute sinnvoll – aber noch nicht selbstverständlich – sich mit den Zielen und Inhalten der gewährten Leistungen zu beschäftigen.

Enge Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden vor Ort

Das Interim-Management steht vor der Herausforderung, die benötigte Stabilität mit dem vorhandenen Personal zu bewirken. Deshalb ist es wichtig, den einzelnen Mitarbeitenden vor Ort Vertrauen zu schenken, sie zu involvieren und sie auf diese Weise zu motivieren. Die Beteiligung ist nicht ohne Risiko, da man nicht immer sicher sein kann, was entschieden wird. Auch für die Mitarbeitenden ist es unter Umständen neu und unerwartet, eine solche Verantwortung zu übernehmen. Gerade eine langjährige Leitung kann aber nicht alle ihre Themen übergeben, sodass die Aufgaben auf viele Schultern verteilt werden müssen. Verantwortung mobilisiert Verantwortungsbewusstsein und offenbart schnell die Stärken und Schwächen der einzelnen Mitarbeitenden. Für den bzw. die Interim-Manager*in kommt es dann darauf an, die Stärken zu fördern und sich nicht von den Schwächen ausbremsen zu lassen. Schwächen lassen sich in kurzer Zeit nicht ändern, während die Stärken vorhanden sind und Potenzial zur Entwicklung bieten.

Für externe Interim-Manager*innen ist es leichter, unbefangen und vorurteilslos auf die Mitarbeitenden zuzugehen – und ihnen das nötige Vertrauen zu schenken. Die Mitarbeitenden wiederum wissen, dass vorherige Erfahrungen oder Enttäuschungen nicht übertragen werden, da es eine neue Leitung gibt. Alle haben so die Möglichkeit für einen neuen Start. Grundsätzliche Fragen sind wichtig, um das Engagement aller Beteiligten zu fokussieren: Was ist unser Ziel? Wo will die Einrichtung hin? Schließlich möchte sich niemand für eine Idee engagieren, die später verworfen wird. Interim-Manager*innen sind gefordert, ihre Vorstellungen der Zusammenarbeit klar zu kommunizieren und Möglichkeiten der Beteiligung aufzuzeigen. Dies setzt die vorherige Abstimmung mit dem Träger voraus.

Den Schwerpunkt bildet schließlich die Nachfolgelösung. Dafür wird eine Übergabe und die Einarbeitung der nachfolgenden Person geplant, sodass die angestoßenen Entwicklungen bestmöglich fortgesetzt werden können. Im Rahmen eines Interim-Mandats sind also viele Entwicklungen in einer Einrichtung möglich, u. a. im Hinblick auf die hier skizzierten aktuellen und verbreiteten Herausforderungen.

Text: Sebastian Matysek

Birgitta Neumann

Portrait von Birgitta Neumann, Marktfeldleiterin Eingliederungshilfe sowie Kinder- und Jugendhilfe, der contec

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