Palliativversorgung in Pflegeeinrichtungen: Wie gut sind Sie aufgestellt?

Palliativpflege
Donnerstag, 01 Dezember 2022 13:55

Die Begleitung und Versorgung sterbender Menschen ist eine der großen Aufgaben der Altenpflege. Die stationäre Pflegeeinrichtung ist heute für viele ältere Menschen der letzte Wohnort. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass viele Pflegeeinrichtungen die eigene Palliativversorgung und Hospizversorgung und das dazugehörige Konzept noch nicht aktiv ausgestalten. In diesem Beitrag zeigen wir, was zu tun ist und welche Chancen in der hochwertigen Versorgung zum Lebensende für Bewohner*innen, Pflegekräfte und Einrichtungen liegen.  

Menschen in ihrer letzten Lebensphase zu betreuen ist die zentrale Aufgabe der stationären Altenpflege. Dazu gehört es auch, den Bewohner*innen ein Sterben unter würdigen Bedingungen und unter Berücksichtigung ihrer individuellen Wünsche und Ansprüche zu ermöglichen. Obwohl Einrichtungen der Altenpflege und ihre Mitarbeitenden den Bewohner*innen immer die bestmögliche Versorgung anbieten möchten, gibt es in vielen Einrichtungen eine Diskrepanz zwischen der gewünschten Qualität der Hospiz- und Palliativversorgung und der tatsächlich im Alltag gelebten Umsetzung. Ursachen dafür sind vor allem strukturelle Herausforderungen, fehlende Kompetenzen in der Sterbebegleitung und unzureichende Ressourcen.

„Jeder Mensch hat ein Recht auf ein Sterben unter würdigen Bedingungen. Er muss darauf vertrauen können, dass er in seiner letzten Lebensphase mit seinen Vorstellungen, Wünschen und Werten respektiert wird und dass Entscheidungen unter Achtung seines Willens getroffen werden.“ – aus der Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen.

Was bedeutet Hospiz- und Palliativversorgung?

Die Hospiz- und Palliativversorgung in der stationären Altenpflege umfasst die ganzheitliche Betreuung schwerkranker Menschen. Dazu gehört zum einen die palliative Versorgung, d. h. die Bereitstellung pflegefachlicher und medizinischer Therapien, u. a. zur Schmerzlinderung. Zum anderen bezieht sich der Begriff der Hospizversorgung auf den Aspekt der psychosozialen Begleitung sterbender Menschen und ihrer Angehörigen. Für die Konzept- und Strategieentwicklung einer Hospiz- und Palliativversorgung ist es daher wichtig, dass Träger und Einrichtungen beide Ebenen berücksichtigen.

Rechtliche Rahmenbedingungen: Das HPG

Seit 2015 ist das Hospiz- und Palliativgesetz (HPG) in Kraft. Es bildet die gesetzliche Grundlage für die Hospiz- und Palliativversorgung in stationären Einrichtungen der Langzeitpflege:

  • Pflege schließt Sterbebegleitung mit ein.
  • Versicherte der Krankenkassen haben Anspruch auf eine individuelle Hilfestellung und Beratung bei der Auswahl und der Inanspruchnahme von Leistungen der Hospiz- und Palliativversorgung.
  • Pflegeeinrichtungen sind verpflichtet, Kooperationen mit Ärzt*innen und Hospizdiensten einzugehen und müssen ein Palliativ- und Hospizkonzept vorlegen.

In der Praxis erfahren wir oft, dass sich Verantwortliche in den Einrichtungen noch nicht genügend mit der Gesetzgebung auseinandersetzen konnten und die meisten Einrichtungen strukturell nicht für diese Aufgabe aufgestellt sind. Viele Konzepte bestehen nur auf dem Papier, Mitarbeitende aus allen Bereichen sind nicht ausreichend sensibilisiert und qualifiziert. Die Anzahl der Menschen, die im hohen Alter im Pflegeheim versterben, wird in Zukunft jedoch weiter steigen. Dazu tragen eine steigende Lebenserwartung und der Wunsch vieler Menschen, so lange wie möglich im eigenen Zuhause zu bleiben, bei. Schon heute versterben rund 40 Prozent1 der Bürger*innen in Deutschland in Einrichtungen der stationären Altenpflege. Menschen, die in eine Pflegeeinrichtung kommen, sind meist hochaltrig, multimorbid und haben einen hohen Pflegegrad. Das macht sich auch in der Aufenthaltsdauer der Bewohner*innen bemerkbar: Nur noch durchschnittlich zweieinhalb Jahre verbringen Pflegebedürftige in der Einrichtung, bevor sie versterben.

Um auf diese Entwicklung reagieren zu können und allen Bewohner*innen eine individuelle und bedürfnisorientierte Sterbebegleitung anbieten zu können, sollten Träger jetzt den Blick auf die eigene Hospiz- und Palliativversorgung richten: Wie gut ist Ihre Einrichtung für eine hochwertige Versorgung zum Lebensende aufgestellt?

Gesundheitliche Versorgungsplanung nach § 132g

Mit dem Hospiz- und Palliativgesetz wurden auch die Rahmenbedingungen für die Gesundheitliche Versorgungsplanung (GVP) am Lebensende in stationären Einrichtungen der Langzeitpflege in Deutschland geschaffen. Die GVP bietet Bewohner*innen die Möglichkeit einer vorausschauenden und bedürfnisorientierten Planung für die letzte Lebensphase.

ℹ️ Die Finanzierung der GVP in stationären Pflegeeinrichtungen ist mit dem § 132g SGB V geregelt. Pflegeheimbetreiber können Vergütungsvereinbarungen mit den Kassen abschließen, die z. B. das Auszahlen von Pauschalen beinhalten können. Mit einer vernünftigen Refinanzierung kann für das GVP zudem eine zusätzliche Position neben der Pflege geschaffen werden. Welche Finanzierungsmöglichkeiten Träger haben, ist jedoch auch von den Regelungen im jeweiligen Bundesland abhängig.

Was Sie für die GVP brauchen:

  • Eine*n qualifizierte*n Gesprächsbegleiter*in
  • Angebot von Fallbesprechungen für Bewohner*innen, in die Hausärzt*innen, Angehörige, Vertrauenspersonen und weitere Kooperationspartner*innen einbezogen werden sollten
  • Transparente Kommunikation des Angebots, vor allem schon vor Abschluss des Heimvertrags, aber auch durch Flyer, Aushänge etc.: Jede*r Bewohner*in hat das Recht, einmal im Jahr ein Gespräch mit einer qualifizierten Fachkraft zu führen

ℹ️ Hinweis: Die Palliativ-Ampel wurde von der Deutschen Palliativstiftung gemeinsam mit Pflegeeinrichtungen entwickelt. Sie ist eine einfache Methode, um abzubilden, welche Behandlungen Bewohner*innen von Pflegeeinrichtungen sich im Notfall wünschen. Möchte der/die Bewohner*in ins Krankenhaus verlegt werden oder die letzten Stunden in der Einrichtung ohne hohen Therapieaufwand verbringen? Möchte der/die Bewohner*in ausschließlich Behandlungen zur Schmerzlinderung erhalten oder sind weitergehende Therapien gewünscht? Die Ampel sollte gut sichtbar sein und z. B. an das Bett oder auf die Innenseite einer Schranktüre geklebt werden. Ersthelfer*innen können mit einem Blick erkennen, ob und in welchem Maße die Bewohner*innen behandelt werden möchten. So wird im Notfall eine belastende Suche in den Akten vermieden.

Kooperationspartner*innen: Ein Versorgungsnetzwerk schaffen

Die Kooperation verschiedener Akteur*innen in der Hospiz- und Palliativversorgung ist notwendig, um der steigenden Zahl multimorbider und hochaltriger Bewohner*innen eine individuelle Begleitung zum Lebensende zu ermöglichen. Sie bietet u. a. die Chance über SAPV-Teams (Spezialisierte ambulante Palliativversorgung), ambulante Hospizdienste und Fachärzt*innen fehlende Kompetenzen ins Haus zu holen und so die eigenen Pflegekräfte zu entlasten. Pflegekräfte können eine komplexe Versorgung auf medizinischer sowie psychosozialer Ebene nicht allein und zusätzlich zu ihren täglichen Aufgaben stemmen. Eine umfassende Hospiz- und Palliativversorgung erfordert zudem viele Kompetenzen unterschiedlicher Bereiche: Von der strukturellen, organisatorischen Einbindung bis hin zur pflegefachlichen und sozialen Begleitung.

In vielen Fällen besteht die gesetzlich vorgeschriebene Zusammenarbeit der wichtigsten Akteur*innen in der Hospiz- und Palliativversorgung jedoch nur auf dem Papier. In einigen Fällen wird die Sterbebegleitung in der Praxis von einer einzelnen Person getragen, die aus einem persönlichen Engagement heraus handelt. Das birgt eine grundsätzliche Gefahr: Bricht die für die Versorgung verantwortliche Person weg, dann bricht womöglich auch die ganze Hospiz- und Palliativversorgung zusammen.

Um dem vorzubeugen, sollten Pflegeunternehmen die Sterbebegleitung als Prozess strukturell, personenunabhängig in die Organisation einbetten und alle Akteur*innen frühzeitig in die Versorgung einbinden. Neben ambulanten Hospizdiensten spielen hier auch Hausärzt*innen und Ehrenamtler*innen eine wichtige Rolle. Die Aufgaben der jeweiligen Akteur*innen sollten vorab und in gemeinsamer Absprache definiert und Grenzen klar abgesteckt werden, um ein wirkungsvolles Zusammenspiel zu ermöglichen.

☛ Machen Sie sich einen Überblick mit unserer Checkliste: Wie gut ist Ihre Pflegeeinrichtung aufgestellt?

Checkliste_Palliativversorgung

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Weiterbildung für Pflegekräfte, Grundkompetenzen für alle Mitarbeitenden

Pflegekräfte, die zunehmend mit der Betreuung sterbender Bewohner*innen konfrontiert sind, können dies als zusätzliche Belastung empfinden. Oftmals kümmern sie sich neben der Versorgung der Pflegebedürftigen auch um die Angehörigen, die mit ihren Ängsten und Sorgen auf sie zukommen. Zusätzlich stellt der Umgang mit der eigenen Trauer eine weitere Herausforderung für die Pflegekräfte dar. Doch nicht nur Mitarbeitende mit direktem Kontakt zu Bewohner*innen empfinden deren Tod als Belastung, auch Mitarbeitende, ohne direkten Kontakt können sich dadurch belastet fühlen. Verantwortliche in Pflegeeinrichtungen sollten daher Mitarbeitenden aus allen Bereichen anbieten, gemeinsam Grundkompetenzen zu erwerben und sie für den Umgang mit dem Tod von Bewohner*innen zu sensibilisieren.

Pflegekräfte sollten zudem die Möglichkeit haben, sich z. B. als Gesprächsbegleiter*in, Palliativkoordinator*in oder Palliative-Care-Kraft weiterzubilden. Durch eine Weiterbildung können Pflegekräfte Kompetenzen erwerben, die ihnen dabei helfen, eine Belastung durch den Tod von Bewohner*innen besser zu verarbeiten.

☛ Auch wenn die Qualifikationen zur Gesprächsbegleiter*in bzw. Koordinator*in oder Palliativ-Care-Kraft mit Aufwand verbunden sind, bieten sie den Mitarbeitenden auch eine Chance, sich in ihrem Beruf weiterzuentwickeln. Aktuelle Umfragen bestätigen zudem, dass sich viele Pflegekräfte wünschen, dass Arbeitgeber ihnen die Möglichkeit zur Weiterbildung im Bereich Hospiz- und Palliativversorgung anbieten. Mit einem entsprechenden Angebot können Arbeitgeber diese Fachkräfte auf sich aufmerksam machen.

Mit diesen Maßnahmen können Einrichtungen ihre Pflegekräfte und Mitarbeitende anderer Bereiche darüber hinaus u. a. unterstützen:

  • Kommunikation auf Augenhöhe: Die Umsetzung einer Hospiz- und Palliativversorgung, die in den Strukturen der Pflegeeinrichtung verankert ist, benötigt einen umfassenden Wandel der Organisationskultur. Hier ist die Leitung gefragt, die den Handlungsrahmen vorgeben und vorleben muss. Sie sollte den Palliativgedanken gegenüber den Mitarbeitenden, Bewohner*innen und Angehörigen auf Augenhöhe kommunizieren.
  • Aufbau eines Wertefundaments: Wie geht die Einrichtung mit den Themen Tod und Sterben um? Leitung und Mitarbeitende sollten dazu gemeinsam eine Definition und ein Wertefundament entwickeln, das die Einrichtung auch in ihr Leitbild aufnehmen sollte. Die Bedeutsamkeit des Themas sollte allen Beteiligten gegenüber deutlich gemacht und die Werte durch die Leitungsebene vorgelebt werden. Das kann den Umsetzungserfolg entscheidend beeinflussen.
  • Trauerarbeit: Verantwortliche von Pflegeeinrichtungen sollten Mitarbeitenden den Umgang mit der eigenen Trauer ermöglichen und Räume der Trauerarbeit schaffen. Mitarbeitende benötigen Zeit, selbst Abschied zu nehmen, z. B. durch kleine Rituale wie das gemeinsame Entzünden einer Kerze.
  • Angehörige und Mitbewohner*innen: Neben fachlichen Akteur*innen können für die Pflegenden auch Angehörige wichtige Partner*innen in der Palliativversorgung der Bewohner*innen sein, wenn sie gut eingebunden und aufgeklärt sind. Ebenso können Mitbewohner*innen in die Sterbebegleitung einbezogen werden.

Die Hospiz- und Palliativversorgung ist ein komplexer, aber zunehmend wichtiger Bereich der stationären Altenpflege. Um Bewohner*innen eine individuelle, bedürfnisorientierte Begleitung zum Lebensende zu ermöglichen, erfordert es die Kooperation vieler Akteur*innen und das strukturierte Umsetzen von Maßnahmen. Mitarbeitenden stationärer Pflegeeinrichtungen bietet sie die Chance, sich in ihrem Beruf weiterzubilden, neue Kompetenzen zu erwerben und Belastungen zu reduzieren. Das Angebot einer hochwertigen Versorgung zum Lebensende ist daher auch für Arbeitgeber eine Möglichkeit, Fachkräfte auf sich aufmerksam zu machen und bestehende Mitarbeitende im Berufsalltag zu unterstützen.

 

1George, W. (2015), Sterbeort stationäre Pflegeeinrichtung, MMW Fortschritte der Medizin, 157. Jg., Nr. 5, S. 17–24.

Text: Katharina Ommerborn/ Ida Wagner
© mnirat/Adobe Stock

Ida Wagner

Portrait von Ida Wagner, Organisationsberaterin, der contec

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