Pflege-TÜV: Indikatorengestützte Qualitätsprüfung im Praxis-Check

Qualitätsprüfung
Samstag, 27 November 2021 12:29

Nach Corona-bedingter Pause prüfen MDK und PKV nun seit einiger Zeit wieder stationäre Pflegeinrichtungen nach dem ,neuen Pflege-TÜV‘, dem indikatorengestützten Qualitätsprüfungsverfahren. Laut Gesetz muss vom 1. Oktober 2020 bis 31. Dezember 2021 jede zugelassene Pflegeeinrichtung einmal geprüft werden. Aufgrund von regional sehr unterschiedlichen Inzidenzen und Warnstufen bleibt es jedoch fraglich, ob dieses Ziel erreicht werden kann. In jedem Fall müssen sich stationäre Pflegeeinrichtungen auf das neue Qualitätsprüfungssystem gut einstellen. Wir schauen auf den Status quo und geben auf Basis unserer Erfahrungen Tipps für die Qualitätsprüfung in Ihrer Einrichtung.

1. Die neue Qualitätsprüfung – eine Zwischenbilanz

Das Ende 2019 eingeführte indikatorengestützte Qualitätsprüfungsverfahren in der stationären Pflege stellt einen Fortschritt dar, denn es bildet Ergebnisqualität ab – wenn auch nicht vollumfänglich. Der Qualitätsgedanke kann für Einrichtungen eine gute Motivation sein: Sie erhalten ein realistisches Bild der eigenen Qualität, erhoben durch das eigene Personal. Die Ergebnisse der Qualitätsprüfung können für das interne Qualitätsmanagement genutzt werden. Die alten Pflegenoten waren dafür zu unkonkret.

Bezogen auf die externe Stichproben-Prüfung durch MDK und PKV, zur Überprüfung der Plausibilität der zuvor selbsterhobenen Daten, nehmen Einrichtungen insbesondere die vorherige schriftliche Ankündigung als sehr hilfreich wahr. So können sie die Prüfung organisatorisch gut vorbereiten. Die Verantwortlichen vor Ort merken auch den nachsichtigen Umgang der Prüfer*innen in Bezug auf die pandemische Lage und die damit einhergehenden Stressfaktoren der Einrichtungen positiv an.

Innerhalb der Qualitätsprüfung ist das Fachgespräch hervorzuheben, in dem die Pflegekräfte den MDK in seiner überwiegend beratenden Rolle als positiv wahrnehmen. Die Erfahrung zeigt aber auch, dass noch nicht alle Qualitätsprüfer*innen vollständig den gedanklichen Sprung in die neuen Richtlinien für die Qualitätsprüfungen (QPR) gemacht haben, sodass mitunter hierzu ein Diskurs notwendig ist.

Bei Leitungskräften wie Fachkräften stellte sich mit der Einführung des neuen Verfahrens die Frage des zusätzlichen Arbeitsaufwands, gerade auch angesichts der angespannten Personalsituation. In der Praxis hat sich gezeigt, dass der Zeitaufwand zumindest bezogen auf die externe Prüfung durch MDK/PKV nicht erheblich größer geworden ist, die Gewichtung ist vielmehr eine andere. Die Priorisierung liegt nun mehr auf der Ergebnisqualität: Die einzelne Prüfung der Bewohnenden kann zwar länger dauern, doch dies hängt auch vom jeweiligen Pflegezustand eines Bewohners bzw. einer Bewohnerin ab. Der zu prüfende strukturelle Teil der Qualitätsprüfung ist hingegen sehr reduziert. Dieser beläuft sich daher in den meisten Fällen nicht mehr auf ein halbes Tagwerk, sondern nur noch auf eine Zeitdauer von etwa anderthalb Stunden.

Folgend schauen wir in wichtigen Punkten des neuen Verfahrens auf Erfahrungswerte und geben Ihnen Tipps aus unserer Beratungspraxis.

2. Mitarbeitende schulen, Ergebnisse nutzen

Im Zuge der bisherigen Qualitätsprüfungen hat sich gezeigt, dass die Pflegefachkräfte i. d. R. genau über ihre Tätigkeiten Bescheid wissen und dass sie diese auch im Rahmen der externen Prüfung plausibel mündlich beschreiben oder im Bedarfsfall argumentieren können. Dabei hat sich insbesondere die vorherige Ermittlung und Darstellung der Qualitätsindikatoren als sehr nützlich erwiesen, bei denen die Pflegeeinrichtungen selbst eine aktive Rolle einnehmen und dadurch enorm an Sicherheit gewinnen.

Um die Erhebung der Qualitätsdaten korrekt durchführen zu können, sollten Einrichtungen sicherstellen, dass alle Mitarbeitenden in der indikatorengestützten Qualitätsprüfung geschult sind. Die Personen, die die Daten erheben, benötigen darüber hinaus fundierte Kenntnisse über die jeweiligen Pflegebedürftigen. Für Pflegefachkräfte ist die Erhebung aus diesem Grund einfacher als z. B. für die Pflegedienstleitung. Externe Personen sollten nicht mit der Erhebung betraut werden.

☛  Tipp: Nicht nur für die Erhebung sollten entsprechende Prozesse etabliert werden, sondern auch für das Vorgehen im Nachgang der Prüfung im Sinne des PDCA-Zyklus. Auf längere Sicht enthält das Verfahren auch wertvolle Hinweise auf die Wirkung von Qualitätssicherungsmaßnahmen und kann Einrichtungen zudem für den internen Vergleich (Wohnbereiche) dienen.

3. Erhebung der Daten: Den Zeitaufwand richtig planen

Bei der Erhebung der Daten durch die Einrichtung, die im Regelfall zweimal jährlich stattfindet, müssen geübte Anwender*innen mit einem Zeitbedarf von fünf bis fünfzehn Minuten je Datenerhebung eines/einer Bewohner*in planen. Das bedeutet auch, dass für ungeübte Anwender*innen entsprechend mehr Zeitressourcen nötig sind. Bei der Datenerhebung gilt die Faustregel: Je anspruchsvoller die Pflegesituation, desto länger dauert die Datenerhebung. Dasselbe gilt bei starker Veränderung der Pflegesituation gegenüber der Vorerhebung (vor sechs Monaten).

Der Zeitbedarf kann exemplarisch wie folgt eingeschätzt werden:

  • Wohnbereich mit 20 Bewohner*innen à 1 Mitarbeiter*in, täglich 4 Bewohner*innen, 1–1,5 h/Tag = Gesamtdauer: 5 Tage

Bei diesem Beispiel ist die Annahme, dass für die 4 Bewohner*innen 15–20 Minuten je Bewohner*in benötigt werden. Dieser Zeitpuffer (1–1,5h) muss natürlich anderweitig aufgefangen werden, bspw. durch den Einsatz von Schüler*innen, Praktikant*innen oder (wenn möglich) Springer*innen.

  • Wohnbereich mit 30 Bewohner*innen à 4 Mitarbeiter*innen (jeweils Erhebung von 7–8 Bewohner*innen), 1 Bewohner*in/MA & Tag (= 15 Min/Tag) = Gesamtdauer: 7–8 Tage

Je mehr Anwender*innen an der Datenerhebung beteiligt sind, umso eher lässt sich diese in den Alltag integrieren. Wenn 4 Mitarbeitende jeweils 7–8 Bewohner*innen erheben, dann fällt für jeden einzelnen ein Zeitaufwand von ca. 15 Minuten am Tag an, damit nach 7–8 Tagen alle Bewohner*innen erhoben sind. Diese 15 Minuten lassen sich in der Regel in den Alltag integrieren, ohne auf zusätzliches Personal zurückgreifen zu müssen.

☛  Tipp: Es ist ratsam, einzelne Mitarbeitende an einem Tag nicht mehr als sechs Bewohner*innen einschätzen zu lassen.

4. Prüfung vor Ort: Vorbereitung ist alles

Die Qualitätsverantwortlichen müssen die Vorbereitungen individuell auf den Stand ihrer Einrichtung ausrichten. Der Aufwand ist unterschiedlich groß, u. a. da die Einrichtungen vor Eintreten der Pandemie bei der Implementierung des neuen Prüfungssystems unterschiedlich weit vorangeschritten waren.

Zu Prüfungsbeginn oder im Verlauf benötigte Dokumente und Themen können online eingesehen werden. Qualitätsmanagementbeauftragte und/oder Pflegedienstleitungen sollten hier frühzeitig tätig werden und die notwendigen Unterlagen sichten und vorbereiten. Die „QPR in Pflegeeinrichtungen“ sind hier die erste Anlaufstelle.

☛  Tipp: Es bietet sich an, die Prüfer*innen auf den in den QPR vorgegebenen Ablauf hinzuweisen. Hier ist beispielsweise beschrieben, dass erst die Ergebnisqualität vollständig geprüft werden soll, bevor es zur Prüfung der Strukturqualität geht.

Durch die schriftliche Ankündigung der Prüfung erhalten die Pflegeeinrichtungen die Chance, sich organisatorisch vorzubereiten. Hier ist es ratsam, dies zu nutzen und zu schauen, wer am Tag der Prüfung auf welchem Wohnbereich die Prüfer*innen im Fachgespräch begleitet.

  • Für ein Fachgespräch eignen sich Pflegefachkräfte, die die Bewohner*innen sehr gut kennen und lange pflegen. Um den Fachkräften zusätzlich Sicherheit zu vermitteln und sie bei Bedarf auch argumentativ zu unterstützen, könnte z. B. eine Leitungskraft als ‚Back-Up‘ abwechselnd in die einzelnen Prüfungssituationen gehen.
  • Die Fachgespräche haben aufgezeigt, dass es für einige Pflegefachkräfte hilfreich sein kann, sich im Vorfeld mit der Prüfsystematik vertraut zu machen. Wichtig in der Prüfsituation ist, dass sie ihr in der Regel umfassendes Wissen und ihre Kenntnisse über den Pflegebedürftigen fachlich schlüssig darstellen und nachvollziehbar erklären können. Um die Mitarbeitenden an dieser Stelle fachlich zu stärken und ihnen Sicherheit zu vermitteln, bietet es sich an, Prüfungen anhand des MDK-Prüfbogens vorher einmal zu simulieren.

Dass der Übungszeitraum pandemiebedingt bis zum 31.12.2021 verlängert wurde, sollte von den Einrichtungen genutzt werden. Es ist wichtig, die Einrichtung und insbesondere auch die Pflegefachkräfte für die zukünftige Indikatorenerfassung gut aufzustellen.

5. Corona: Hygiene- und Testkonzepte bleiben wichtig

Die Einsätze der Prüfdienste der Gesetzlichen und Privaten Krankenversicherung müssen weiterhin unter strengen Hygieneregeln vollzogen werden, sodass die Sicherheit der Pflegeeinrichtungen gewährleistet ist. Dazu haben MDS und MDK ein entsprechendes Hygienekonzept erarbeitet, das regelmäßig angepasst wird. Insbesondere im Rahmen der strukturellen Prüfung wird aktuell großer Wert auf die Hygiene- und Testkonzepte gelegt.

Zwei weitere Punkte, die Corona-bedingt in den Fokus rücken:

  • Die Datenpflege gemäß der neuen Qualitätsindikatoren innerhalb der Pflegedokumentation kann pandemiebedingt zu kurz gekommen sein. Diese sollten die Verantwortlichen in der Vorbereitung auf die Prüfungen genau unter die Lupe nehmen. Auch wenn davon auszugehen ist, dass innerhalb der Prüfung Plausibilitäten bis zu einem Jahr rückwirkend geprüft werden, sollten die Daten zur Prüfung auch entsprechend der aktuellen Gegebenheiten der Heimbewohner*innen stimmig sein. Die Verantwortlichen sollten die entsprechenden Daten im besten Fall einmal systematisch auf den aktuellen Stand bringen.
  • Auch die Durchführung der sozialen Betreuung (Betreuungskonzept) ist verstärkt im Fokus. Durch die flächendeckenden Impfungen in den Pflegeheimen darf nun zwar zum Teil das gesellschaftliche Leben wieder mit Gruppenaktivitäten ausgefüllt sein, doch die Pandemie hat ihre Spuren hinterlassen. So kann die Vereinsamung bzw. die soziale Abschottung für Pflegebedürftige weiterhin ein schädigender Aspekt sein. Maßnahmen zur Abwendung einer solchen Schädigung sollten in der Konzeption verankert sein.

Ein Lese-Tipp zum Schluss: Im Rahmen des neuen Verfahrens sollte auch die Chance genutzt werden, Wertschätzung für die geleistete Arbeit in den Einrichtungen zu vermitteln und den Fokus auch im positiven Sinne auf ermittelte Stärken zu richten. Einen kritischen Kommentar aus der Praxis zur Form der Ergebnisdarstellung im neuen Verfahren lesen Sie in der CAREkonkret, Ausg. 19/2021, S. 7. Der Autor Heinz Fleck befürchtet, dass die negativ konnotierte Form der Prüfungskommunikation nachteilige Auswirkungen auf das Image der Pflege haben könnte, welches es doch eigentlich so dringend zu stärken gilt.

Zum Hintergrund

Im November 2019 ist das neue indikatorengestützte Qualitätsprüfungsverfahren, das neue Verfahren zur Prüfung und Darstellung der Pflegequalität für die stationäre Altenpflege, gestartet. Die bisherige Darstellung durch Pflegenoten war zunehmend in die Kritik geraten, weil Defizite in der Versorgungsqualität für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen oft nicht einfach erkennbar waren. Im Zuge des PSG II entwickelten Wissenschaftler*innen ein neues Prüfverfahren, welches nicht nur die personellen und sachlichen Gegebenheiten sowie die Durchführung der Pflege bewerten sollte, sondern vor allem die sogenannte Ergebnisqualität. Die Einrichtungen erfassen selbstständig, doch um Manipulationen bei der Datenerhebung zu vermeiden, werden die dokumentierten Ergebnisse durch ein datentechnisches Programm sowie eine externe Prüfung durch den MDK bzw. den PKV-Prüfdienst auf ihre Plausibilität geprüft.

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Text: Linda Englisch/Sarah Rütershoff/Sven Vogelsang
© contrastwerkstatt

Sven Vogelsang

Portrait von Sven Vogelsang, Management- und Organisationsberater, der contec

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