Raus aus der Krise: Strategisches und nachhaltiges Management sozialer Organisationen

Donnerstag, 28 September 2023 16:53

Beim 4. Zukunftsforum Soziale Arbeit am 6./7. September 2023 kamen rund 100 Teilnehmende aus dem Top-Management der Eingliederungshilfe, Kinder- und Jugendhilfe sowie Sozialpsychiatrie zusammen, um darüber zu diskutieren, wie die Branche den Krisenmodus verlassen und zu neuer Stärke gelangen kann. Strategieentwicklung, zeitgemäße Leadership-Modelle und das große Thema Nachhaltigkeit standen im Zentrum der Diskussionen.

Krise als Normalzustand? Krise als analytischer Begriff

Heinz Müller im Podcast

„Wenn eine Krise eine erhebliche Abweichung der Normalität ist und sich durch das Fehlen von Handlungsroutinen auszeichnet, dann sollten wir uns angesichts der aktuellen Poly-Krise vielleicht fragen, was für uns eigentlich ,normal‘ ist.“ Zu diesem Schluss kam Heinz Müller vom Institut für sozialpädagogische Forschung Mainz in seinem Vortrag beim 4. Zukunftsforum Soziale Arbeit. Auch Birgitta Neumann, Geschäftsfeldleitung Eingliederungs- und Kinder- und Jugendhilfe sowie Mitglied der Geschäftsleitung bei contec, hinterfragte in ihrer Eröffnung, ob wir uns tatsächlich in einem neuen Normalzustand der Krise befinden oder ob ein großer Teil dessen, was wir als Krise wahrnehmen, schlicht gesellschaftlicher Wandel ist – und damit durchaus vorhersehbar war. Die Herausforderungen aber, die mit der aktuellen Lage verbunden sind, sind real und das Empfinden, von einer ‚Krise‘ in die nächste zu schlittern, kann laut Heinz Müller im schlimmsten Fall erst zu einer Krisenvergessenheit und dann zu einer „Krisenverliebtheit“ führen. Was also tun, um aus diesem Teufelskreis herauszukommen? Klar ist: Es braucht Transformation – und zwar auf gesellschaftspolitischer wie auch auf unternehmerischer Ebene. Für erstere schlug Heinz Müller vor: ,Krise‘ nicht als gegebene Situation, sondern als analytischen Begriff zu verwenden, die Wachstumsideologie der westlichen Gesellschaften konsequent zu hinterfragen und die soziale Infrastruktur neu zu denken, insbesondere mit Blick auf die Schnittstellen und Übergänge zwischen den einzelnen Branchen der Sozialwirtschaft. Unternehmerisch steht für Birgitta Neumann fest: Es braucht fundierte Unternehmensstrategien, die den Wandel berücksichtigen, und es braucht eine kritische Selbstreflexion des Top-Managements hinsichtlich zeitgemäßer Führungskultur.

  Zur Podcast-Folge mit Heinz Müller: ST 26: Jugendhilfe in der Krise?

Was tun? Leadership und Strategien für die Zukunft

Open Strategy – das war ein Schlagwort des ersten Forumstages. Denn eine Strategie, die soziale Organisationen nicht nur aus dem Krisenmodus herausholt, sondern sie auch langfristig erfolgreich sein lässt, wird nicht im kleinen Kreise des meist homogenen Top-Managements hinter verschlossenen Türen entwickelt. Strategieprozesse zu öffnen heißt, konsequent andere Stakeholder einzubeziehen. Das kann weit über die Mitarbeiterschaft hinausgehen und auch Lieferant*innen, Kund*innen und sogar Mitbewerber meinen. Prof. Dr. Julia Hautz von der Universität Innsbruck hat dargestellt, dass 67 Prozent aller Unternehmen an der Bewältigung von disruptiven Veränderungen scheitern. „Traditionelle Strategiearbeit ist in der Krise“, so Hautz. Ein Lösungsansatz stellt für sie die Diversifizierung und Öffnung von Strategiearbeit dar.

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Zur kritischen Selbstreflexion über die eigene Rolle als Führungskraft rief Prof. Dr. Silja Hartmann von der TU Berlin auf. Auf die Frage, welche Führung Organisationen der Sozialwirtschaft brauchen, um aus dem Krisenmodus herauszufinden, gibt es laut Hartmann keine pauschale Antwort, aber es gibt einige Anhaltspunkte, an denen man gute Führung festmacht. „In schwierigen Zeiten wie diesen ist psychologische Resilienz enorm wichtig. Es ist Aufgabe der Führungskraft, diese bei ihren Mitarbeitenden zu stärken, denn Studien zeigen, dass das private Umfeld und die Familie die Resilienz im Job nicht maßgeblich beeinflussen“, So Silja Hartmann. Welchen Leadership-Style eine Führungskraft für sich wählt – z. B. authentische Führung, charismatische, geteilte Führung etc. – das hängt laut der Expertin auch maßgeblich an der Kultur und den Zielen der Organisation sowie der Persönlichkeit der Führungskraft.

Wie wichtig Resilienz im Kontext von Arbeit und Führung ist, hat auch Magdalena Rogl von Microsoft Germany eindrücklich dargestellt. Eben diese Resilienz ließe sich laut Rogl durch Empathie und emotionale Intelligenz bei Führungskräften herstellen. Dafür bemühte sie das Bild des Trampolins: „Wir können im Führungskontext mit unseren Mitarbeitenden durchaus ganz tief ins Trampolin, also unsere Gefühlswelt, hineinspringen und über Emotionen sprechen – Kommunikation ist sowieso immer emotional – und dann aber wieder nach oben hüpfen, sodass das Sprungtuch sich wieder glättet. Das ist Resilienz und um diese Form von Führung und Miteinander zu lernen, braucht es jede Menge Selbstreflektion bei Führungskräften.“

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Megatrends im Fokus beim Zukunftsforum Soziale Arbeit

Einen Blick in die Zukunft wagte Prof. Dr. Daniel Buhr vom Steinbeis Transferzentrum Soziale und Technische Innovation. Laut Buhr sind es vor allem die Megatrends Digitalisierung, New Work, Nachhaltigkeit und Individualisierung, die sich auf die Sozialwirtschaft auswirken werden und es bereits tun. Das gelte sowohl für die Angebotslandschaft als auch für die Beschäftigung der Mitarbeitenden.

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Nachhaltigkeit: Von Klimaneutralität zur Klimagerechtigkeit

Der zweite Tag des Zukunftsforums stand ganz im Zeichen des Megatrends (soziale und ökologische) Nachhaltigkeit. contec Geschäftsführer Dietmar Meng betonte in seiner Eröffnung die Relevanz dieses Themas für die ganze Gesellschaft und die besondere Verantwortung der Sozialwirtschaft. „Wir müssen verhindern, dass Nachhaltigkeit zu einer leeren Worthülse verkommt“, so Meng. Zwei sehr konkrete Möglichkeiten, sich dem Thema Nachhaltigkeit und sozial-ökologische Transformation zu widmen, stellten Dr. Gerhard Timm von der BAGFW und Hans-Werner Hüwel vom Caritasverband Paderborn vor. Während die BAGFW sozialen Organisationen empfiehlt, ihr Berichtswesen am Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) auszurichten, setzt die Caritas Paderborn auf das Prinzip der Gemeinwohlökonomie (GWÖ). Hüwel betonte aber: „Heute konkurrieren die verschiedenen Systeme zum Glück nicht mehr miteinander, sondern es herrscht Konsens, dass das Wichtigste ist, sich überhaupt mit der Nachhaltigkeitsbilanz des eigenen Unternehmens auseinanderzusetzen.“

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Prof. Dr. Johannes Verch von der ASH Berlin beleuchtete die Ebene des sozialarbeiterischen Handelns und warb für das Konzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Anhand von Beispielen guter Praxis machte er deutlich, welche Rolle der Bildung im Bereich der Sozialen Arbeit zukommt, wenn es darum geht, Adressat*innen von Angeboten in die sozial-ökologische Transformation einzubeziehen und den Schritt von Klimaneutralität zur Klimagerechtigkeit zu gehen.

Mit Blick auf die soziale Nachhaltigkeit in Unternehmen spielt auch das Thema Personal eine wichtige Rolle. Fachkräftemangel und Nachhaltigkeit stehen in engem Zusammenhang, wie Ulrike Goletz und Katharina Neumann von der contec GmbH mit Blick auf nachhaltige Personalstrategien erläuterten.

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Zukunftsimpulse richtig setzen: Vorfreude auf das 5. Zukunftsforum Soziale Arbeit

Die Teilnehmenden wie auch contec als Veranstalterin freuten sich über eine Veranstaltung, die die richtigen Impulse setzte, um aus dem andauernden Krisenzustand herauszufinden und den Blick in die Zukunft zu richten. Zwei Tage voller spannender Vorträge, interessanter Diskussionen in Workshops und an Thementischen und der informellen Vernetzung beim contec Sommerempfang am Abend des 6. Septembers kreierten eine Stimmung des Aufbruchs. Wir freuen uns schon heute auf das 5. Zukunftsforum Soziale Arbeit 2024!

Text: Marie Kramp
© Philip Schunke, contec

Birgitta Neumann

Birgitta Neumann Portratit

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