

Wie beurteilen Vertreter*innen der öffentlichen und freien Kinder- und Jugendhilfe das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG)? Wie weit sind die erforderlichen inhaltlichen und strukturellen Veränderungen bereits umgesetzt? Anfang des Jahres hat contec gemeinsam mit IEGUS, dem Forschungsinstitut für die Gesundheits- und Sozialwirtschaft, Träger und Einrichtungen der Branche dazu befragt. Die Ergebnisse sind jetzt als digitale Broschüre erschienen und stehen zum kostenlosen Download bereit.
Das Ziel ist klar: Mit der Gesetzesnovelle soll die zum Teil seit Jahrzehnten geforderte „inklusive Lösung “, also eine Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder – mit und ohne Behinderung – Wirklichkeit werden. Die Mehrheit der Befragten hält die angestrebten Veränderungen für sinnvoll, da sie besonders benachteiligten Kindern und Jugendlichen zugutekommt. Gleichzeitig sehen vor allem öffentliche Träger die neuen gesetzlichen Anforderungen als schwer umsetzbar an. Die größten Herausforderungen sind:
Neben der Gesamtbewertung des neuen Kinder- und Jugendstärkungsgesetz haben die Studienteilnehmer*innen ebenfalls eine Bewertung der einzelnen Regelungsbereiche vorgenommen. Als besonders herausfordernd wird der Bereich „Helfen“ bewertet. Die Regelungsbereiche „Beteiligen“ und „Stärken“ erscheinen weniger problematisch.
Nur knapp ein Drittel der antwortenden Organisationen hat bislang Konzepte zur personellen, organisatorischen und fachlichen Umsetzung entwickelt. Öffentliche Organisationen hinken hier noch hinterher– inklusive Angebote für Kinder und Jugendliche finden sich derzeit eher bei freien Trägern. Zentrales Problem für die zeitnahe Umsetzung der Gesetzesnovelle sind die fehlenden personellen Ressourcen. Zudem besteht erheblicher Unterstützungsbedarf bei der Qualifizierung der Mitarbeitenden.
Die Mehrheit der Teilnehmenden hält Kriterien für die Leistungsgewährung vor oder befindet sich in der konkreten Erarbeitungsphase. Hingegen sind Kriterien für die Leistungsgewährung nach Beendigung der Hilfen für junge Erwachsene bislang kaum vorhanden.
Schutzkonzepte sind insgesamt häufiger etabliert als Beschwerdemöglichkeiten. Der Rechtsanspruch auf Beratung, Unterstützung und Förderung der Beziehung zum Kind für Eltern ohne Personensorge ist meistenteils durch entsprechende Angebote sichergestellt.
Im Regelungsbereich „Schützen“ berichten die befragten Organisationen von bereits umgesetzten Maßnahmen zur Zusammenarbeit zwischen den Berufsgeheimnisträger*innen und den Jugendämtern. Insbesondere öffentliche Träger bewerten die Zusammenarbeit als sinnvoll oder sogar sehr sinnvoll. Freie Träger geben etwas häufiger an, über Mindeststandards für die neuen Erteilungsvoraussetzungen zu verfügen.
Interne und externe Beschwerdemöglichkeiten sind am häufigsten vorhanden bzw. in Bearbeitung. Verfahren zur Überprüfung durch die Landesjugendämter sind am wenigsten etabliert. Vor allem öffentliche Träger geben an, dass die Konzepte zu den Anforderungen an die Betriebserlaubnis noch in Planung sind.
In Bezug auf den Umgang mit Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen sehen sich die Befragten noch nicht gut aufgestellt.
Die niederschwellige Hilfegewährung für Familien, Kinder und Jugendliche in Notsituationen wird von mehr als der Hälfte der Teilnehmenden als schwierig eingeschätzt. Präventive Angebote im Sozialraum werden tendenziell eher von öffentlichen Trägern geplant oder sind bereits in der Umsetzung. Einzelne Teilnehmer*innen weisen in diesem Zusammenhang auf unzureichende Angebote für „Systemsprenger“ sowie Kinder und Jugendliche mit psychischen Erkrankungen hin. Dies sei selbst in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ein Problem.
Ein Großteil der Befragten gibt an, bereits über Verfahren zur Erfüllung des Beratungsanspruchs von Kindern und Jugendlichen zu verfügen oder sich in der konkreten Entwicklungsphase zu befinden. Komplexträger verfügen tendenziell eher über solche Verfahren als Einzelunternehmen, die sich häufig noch in der Planungs- oder Erarbeitungsphase befinden.
Auch wenn die Akteur*innen der Kinder- und Jugendhilfe das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz fast durchweg positiv beurteilen, scheint sich die praktische Umsetzung bislang eher schwierig zu gestalten. Angesichts des riesigen Reformvorhabens ist das wenig überraschend – insbesondere die inklusive Lösung stellt einen noch nie dagewesenen Paradigmenwechsel dar. Die Aufhebung der bisherigen Trennung der Zuständigkeiten bei Kindern mit geistigen und körperlichen Behinderungen durch das SGB IX (Eingliederungshilfe) und Kindern mit einer seelischen Behinderung durch das SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) bringt inhaltliche wie auch organisatorische Neuerungen mit sich und erfordert eine umfassende Verwaltungsreform. Diese stellt Leistungsträger und Leistungserbringer gleichermaßen vor enorme Herausforderungen.
Die Übergangsphase bis 2028 sollte daher aktiv genutzt werden, um die erforderlichen Veränderungen gezielt anzugehen.
Das Wichtigste ist, dass alle Beteiligten an einem Strang ziehen und eng zusammenarbeiten. Das gilt für die Leistungsträgerseite – die öffentlichen Träger der Eingliederungs- sowie der Kinder- und Jugendhilfe – wie auch für die Leistungserbringerseite beider Branchen. Die vier Parteien müssen sich füreinander öffnen, bereit sein, zu kooperieren und voneinander zu lernen. Eine so große Herausforderung lässt sich nur gemeinsam stemmen – zum Wohl der Kinder und Jugendlichen und ihrer Familien, für die so viel Jahre um diese Reform gerungen wurde.
In der digitalen Broschüre „Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) – Einblicke in die bundesweite Umsetzung“ haben wir für Sie die wichtigsten Studienergebnisse übersichtlich zusammengefasst und anschaulich in Grafiken dargestellt. Sie können die Broschüre hier kostenlos herunterladen.
Text: Claudia Langholz | Annette Borgstedt
© SeventyFour / Shutterstock
Haben Sie Fragen zur Umsetzung des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes? Sprechen Sie uns gerne an - wir haben die passenden Lösungen für Sie.
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