

Die Pflegebranche steht vor tiefgreifenden Veränderungen: Der Fachkräftemangel, steigende Komplexität im Pflegealltag und die Einführung der Personalbemessung (PeBeM) fordern neue Strukturen in Organisation, Verantwortung und Arbeitsabläufen. Die Diakonissen Speyer, ein Träger mit 13 Einrichtungen der stationären Langzeitpflege in Rheinland-Pfalz und dem Saarland, hat sich aktiv auf den Weg gemacht und gemeinsam mit der contec GmbH ein umfassendes Veränderungsprojekt gestartet: die Einführung von Pflegeprozessmanagment 2.0 (PPM 2.0), einem Ansatz, der eine kompetenz- und bewohnendenorientierte Ablauforganisation mit neuen Rollen im mittleren Management verbindet. Ein Praxisbericht über klare Rollen, neue Abläufe und gemeinsames Lernen.

Simone Fahrenholz
In einer Sitzung der Diakonissen Speyer vor rund zweieinhalb Jahren wurde klar: So wie bisher kann es nicht weitergehen. „Die Aufgaben und Anforderungen in der Pflege sind heute so vielfältig und herausfordernd wie nie. Unsere Abläufe waren zu starr, Verantwortlichkeiten zu diffus“, erinnert sich Simone Fahrenholz, Projektleitung auf Seiten der Diakonissen Speyer. Ausgelöst wurde diese Erkenntnis durch die angespannte Personalsituation: Um Pflegekräfte zu halten und neue zu gewinnen, braucht es verlässliche Dienstpläne und eine klar geregelte Ablauf- und Ausfallplanung. Bei näherem Hinsehen zeigte sich jedoch, dass dafür ein grundlegender Wandel nötig war. Steigende Versorgungsansprüche und die Einführung von PeBeM lösten zusätzlichen Veränderungsdruck aus.
„Wir wollten nicht warten, bis es so gar nicht mehr weitergeht“, sagt Fahrenholz. „Wir wollten proaktiv handeln – im Sinne unserer Mitarbeitenden und der Menschen, die wir begleiten.“ Doch wo fängt man da an? Wie können die 13 Einrichtungen des Trägers fit für die Zukunft gemacht werden?
„Uns war schnell klar: Bei solch einer Transformation, wie sie uns vorschwebte, braucht es den Blick und die Expertise von außen. Es sollte sich wirklich etwas verändern, nachhaltig und wirksam“, erklärt Fahrenholz die Entscheidung sich gemeinsam mit contec als externes Beratungsunternehmen auf den Weg zu machen.
Vor diesem Hintergrund haben contec und die Diakonissen Speyer gemeinsam ein Projekt nach dem Ansatz von PPM 2.0 konzipiert. Im Sinne dieses Ansatzes läuft das Projekt in zwei ineinandergreifenden Schritten ab:
„Im Laufe der Jahre sind die Verantwortlichkeiten im mittleren Management zunehmend unklarer geworden – auch bedingt durch wachsende Anforderungen bei gleichzeitiger Personalnot“, erklärt Tino Wiefel, Projektleiter bei contec. „Mit dem Projekt schaffen wir wieder klare, transparente Strukturen – auch im Sinne der PeBeM-Anforderungen.“
In der Praxis bedeutet das: Zuständigkeiten werden neu geordnet, Aufgaben klar zugewiesen und Abläufe konsequent an Kompetenzen und Bedarfen ausgerichtet. Die bisherige Tourenplanung – historisch gewachsen und wenig flexibel – wird neu gedacht: weg von starren Routinen, hin zu einer bewohnenden- und kompetenzorientierten Logik. Das Ziel: Mehr Passung zwischen Aufgaben und Qualifikation, weniger Überforderung und bessere Versorgung.
„Mit den neuen Rollen und der neuen Ablauforganisation geben wir auf der einen Seite unseren Mitarbeitenden wieder Orientierung, Sicherheit und Wertschätzung. Und auf der anderen Seite steigern wir Effizienz und Versorgungsqualität“, fasst Simone Fahrenholz zusammen.
13 stationäre Einrichtungen der Langzeitpflege in unterschiedlichen Größen – von kleinstrukturiert bis komplex – stellten bei der Projektplanung eine besondere Herausforderung dar. Um dieser Vielfalt gerecht zu werden, wurde ein gestuftes Vorgehen gewählt: Eine Einrichtung im Saarland wurde aufgrund von fachlichen und strukturellen Kriterien als Pilothaus ausgewählt. Dort wurde im Herbst 2023 mit der Umsetzung gestartet: Nach einer umfassenden Analyse des IST-Zustands wurde die neue kompetenz- und bewohnendenorientierte Ablauforganisation eingeführt. Daran schloss sich die Umstrukturierung des mittleren Managements mit Hilfe von zweitägigen Rollenworkshops an, die erstmals in dieser Form stattfanden. Statt abstrakter Rollenzuweisung stand das gemeinsame Erarbeiten im Vordergrund: In interaktiven Formaten setzen sich die Mitarbeitenden mit ihren Rollen auseinander und wie diese künftig als Pflegeprozessmanager*innen, Pflegeteam-Coach*innen und Pflegedienstleitung aussehen. Der besondere Mehrwert der Rollenworkshops liegt in der Kombination aus fachlichem Input, kollegialem Austausch und praxisnaher Klärung: Rollen werden nicht nur verstanden, sondern aktiv angenommen. Für alle Beteiligten macht dieses übertragbare Format somit Veränderung greifbar und Beteiligung wirksam.
„Die Rückmeldungen aus dem Pilothaus waren ermutigend“, resümiert Fahrenholz. „Am Anfang herrschte viel Unsicherheit, denn natürlich schüren Veränderungen immer auch Ängste. Nach einigen Wochen kam dann aber die Rückmeldung: Das funktioniert und ergibt wirklich Sinn, was wir hier neu umsetzen.“
Die Erfahrungen aus der Einführung der Ablauforganisation im Pilothaus bildeten die Grundlagen für den nächsten großen Schritt: die Übertragung auf alle weiteren zwölf Einrichtungen des Trägers. Um der Komplexität gerecht zu werden – unterschiedliche Standorte, Teamgrößen, Ausgangslagen – wurden die Einrichtungen in zwei Gruppen eingeteilt.
Gruppe 1 ist im Herbst 2024 gestartet und die zweite Gruppe in diesem Frühjahr. In beiden Gruppen ist die neue Ablauforganisation nun bereits etabliert und die neuen Rollen werden derzeit schrittweise eingeführt.
Im Unterschied zum Pilothaus, das eng durch das Projektteam von contec begleitet wurde, lag der Schwerpunkt bei der weiteren Umsetzung auf Befähigung zur Eigenverantwortung: Die Einrichtungen wurden durch strukturierte Workshops in die Lage versetzt, die Veränderungen selbstständig zu gestalten – mit begleitendem Support, aber ohne dauerhafte Steuerung von außen.
Ein zentrales Element war zunächst eine gegenseitige Analyse der beteiligten Einrichtungen auf Basis eines gemeinsam entwickelten Reflexionsbogens. Rückblickend hat sich gezeigt, dass viele der dabei entstandenen Ergebnisse im weiteren Projektverlauf kaum genutzt wurden – und das Format damit weniger nachhaltig wirkte als erhofft. Dennoch war es ein wichtiger Zwischenschritt: Es brachte neue Perspektiven auf die eigene Praxis und schuf Raum für einen offenen Austausch zwischen den Häusern. „Viele waren überrascht, wie viel sie voneinander lernen konnten“, so Fahrenholz „Das war wie ein Türöffner: Die anderen kochen auch nur mit Wasser, aber manchmal eben mit einer anderen Würze.“
Das Veränderung Mut erfordert, spürte man besonders zu Beginn – sowohl im Pilothaus als auch in den weiteren Einrichtungen. Das Neudenken gewohnter Abläufe, das Loslassen eingespielter Routinen und die Veränderung der eigenen Rolle. All das löste Fragen, Unsicherheiten und auch Widerstände aus.
„Als klar wurde, dass sich Rollen verschieben und Aufgaben neu sortiert werden, kam bei einigen Mitarbeitenden die Sorge auf, etwas zu verlieren“, berichtet Simone Fahrenholz. „Viele konnten sich zu Beginn nur schwer vorstellen, was ihre künftigen Rollen beinhalten sollen.“
Doch genau dafür wurden die Rollenworkshops entwickelt: Um Raum zu geben, um Neues zu begreifen und um gemeinsam zu gestalten. Nicht Anweisungen, sondern Auseinandersetzung war und ist die Devise. „In den Workshops können die Mitarbeitenden sich mit den neuen Aufgaben auseinandersetzen und die Rollen im eigenen Arbeitskontext mitgestalten. Das zeigt Wirkung: Die Mitarbeitenden haben die Rollen für sich konkret gefasst“, erklärt Tino Wiefel von contec.
Das wurde schon im Pilothaus in Homburg sichtbar. Eine große Einrichtung mit vier Wohnbereichen, stabiler Personaldecke und engagiertem Leitungsteam. Die Umsetzung verlief dort strukturiert, motiviert und engagiert. Ein wichtiges Learning aus der Phase war: Kommunikation und Austausch sind essenziell und passieren aber eben nicht automatisch, sie brauchen gezielte Impulse. „Diese Erkenntnis hat uns sehr geholfen und im weiteren Projektverlauf haben wir noch mehr auf begleitende Kommunikationsformate geachtet“, so Simone Fahrenholz.
Gleichzeitig deckt das Projekt auch auf, wo weiterer Handlungsbedarf besteht: „Wenn man einmal beginnt, genauer hinzuschauen, kommen Themen ans Licht, die vorher unter der Oberfläche lagen“, sagt Frau Fahrenholz. So wurde bspw. deutlich, dass in manchen Teams fachliche Kompetenzen nicht in vollem Umfang ausgeschöpft werden, weil Mitarbeitende zwar formal qualifiziert sind, aber in der Praxis nicht entsprechend eingesetzt oder weiterentwickelt wurden. Ebenso zeigte sich, dass von Seiten des Softwareanbieters weitere Unterstützung benötigt wird, insbesondere bei der Tourenplanung.
Das Projekt der Diakonissen Speyer steht beispielhaft für einen Wandel, der über reine Strukturveränderung hinausgeht. Es markiert einen kulturellen Aufbruch hin zu mehr Klarheit, Verantwortung und Beteiligung in der Pflege. Die Einführung neuer Abläufe, Rollen und einer kompetenz- und bewohnendenorientierten Ablauforganisation ist kein theoretisches Konzept geblieben, sondern wird in der Praxis gelebt und schafft damit auch eine tragfähige Grundlage für PeBeM.
Gleichzeitig zeigt das Projekt, was gelingende Veränderung braucht: Raum für Unsicherheiten, Formate für echten Dialog und die Bereitschaft, bestehende Strukturen kritisch zu hinterfragen. Nicht alles läuft gleich dynamisch, nicht jede Einrichtung war von Beginn an gleich offen und doch hat sich eine neue Haltung entwickelt: Offenheit für Veränderung und gegenseitiges Lernen als zentrale Ressource.
Die Rückmeldungen der Einrichtungen bestätigen den Mehrwert: Mitarbeitende erfahren wieder Orientierung und Wertschätzung, Versorgung wird bedarfsgerechter und Teams erleben sich als gestaltende Kraft. Für Simone Fahrenholz steht fest: „Wir sind noch auf dem Weg, aber wir wissen nun: Es kann besser werden. Wenn wir es anpacken. Und wenn wir es gemeinsam tun“
1. Was ist PPM 2.0 – und warum haben Sie sich dafür entschieden?
PPM 2.0 steht für Pflegeprozessmanagement 2.0. Es bedeutet für uns vor allem: Wir gestalten Pflege neu – mit einer Ablauforganisation, die sich an den Kompetenzen der Mitarbeiter*innen und den Bedarfen der Bewohner*innen orientiert. Und mit Rollen, die wieder klar zugeordnet sind. Unsere bisherigen Strukturen waren zu starr, Verantwortlichkeiten zu diffus. Und uns war klar, dass wir die Herausforderungen in der Pflege so nicht mehr bewältigen können. Wir haben unserem Vorhaben deshalb den Namen „Upgrade“ gegeben. Der entstand in einem internen Namenswettbewerb und bringt auf den Punkt, worum es uns geht, eben ein echtes Upgrade für unsere Organisation.
2. Welche Rolle spielt PeBeM in Ihrem Projekt?
PeBeM war für uns ganz klar ein Weckruf. Wir wollten nicht erst handeln, wenn wir es müssen, sondern jetzt. Das Projekt ist also auch unsere aktive Antwort auf die Anforderungen der Personalbemessung. Wir schaffen Strukturen, mit denen PeBeM überhaupt erst realistisch und sinnvoll umgesetzt werden kann.
3. Was sind für Sie wichtige Rahmenbedingungen gewesen, damit das Projekt auch wirklich funktioniert?
Wir sind ein großer Träger mit vielen Einrichtungen, das bedeutet Vielfalt in Struktur, Teams und Ausgangslagen. Damit das Projekt wirklich greifen kann, war ein schrittweise, gut geplantes Vorgehen für uns zentral. Wir haben bewusst mit einem Pilothaus begonnen, das intensiv begleitet wurde. Dort konnten wir wertvolle Erfahrungen sammeln – fachlich, organisatorisch, aber auch in der Zusammenarbeit. Auf dieser Basis konnten wir die weiteren Einrichtungen gezielt vorbereiten und in zwei Gruppen befähigen, den Wandel in großen Teilen eigenverantwortlich umzusetzen. Ganz wichtig war uns dabei von Anfang an: Beteiligung auf Augenhöhe. Nicht von oben verordnen – sondern gemeinsam entwickeln. Das macht das Projekt tragfähig und stärkt die Akzeptanz.
4. Was ist aus Ihrer Sicht der größte Gewinn?
Die Klarheit, die jetzt für alle entsteht. Durch das genaue Hinschauen und Anpacken konnten teils eingefahrene Vorgehensweisen und Routinen, die vorher nie hinterfragt wurden, klar und zeitgemäß geregelt werden. So hilft uns die neue Ablauforganisation, Aufgaben passgenauer zu verteilen und die Versorgungsqualität zu sichern. Und die neuen Rollen geben den Mitarbeitenden wieder Orientierung und Wertschätzung. Es ist eben keine theoretische Veränderung, sondern eine spürbare Verbesserung, die auch nach außen Wirkung zeigt. Das sieht man beispielsweise sehr schön bei unseren Pflegedienstleitungen. Sie tragen nun die Verantwortung gemeinsam im Team, statt alles allein schultern zu müssen. Das entlastet und macht uns zugleich zu einem modernen, attraktiven Arbeitgeber.
5. Was würden Sie anderen Trägern empfehlen, die mit ähnlichen Herausforderungen kämpfen?
Aktiv werden. Wenn man die Notwendigkeit erkennt, darf man nicht zögern und muss ins Handeln kommen. Das braucht Mut und die Bereitschaft, sich auf Ungewissheiten einzulassen. Denn nicht jeder Schritt wird sofort gelingen. In einem agilen Projekt gehört es dazu, gelegentlich in eine Sackgasse zu laufen, noch einmal umzudrehen und einen neuen Anlauf zu nehmen. Auch wir haben unsere Projektstruktur immer wieder angepasst, weil sich unterwegs neue Herausforderungen, offene Fragen oder Reibungspunkte gezeigt haben. Schritt für Schritt wird so echte Veränderung möglich.
Text: Saskia Strangfeld, Foto: © Flamingo Images/adobe stock
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