Best Practice: Neues Verfahren zur Eignungsfeststellung sichert Qualität von Kindertagespflegepersonen

Montag, 27 November 2023 08:41

Das Netzwerk Kindertagespflege Bonn hat gemeinsam mit contec für die Kindertagespflege ein bundesweit einzigartiges, valides und objektives Eignungsfeststellungsverfahren für angehende Kindertagespflegepersonen entwickelt, das Vorbildcharakter für andere Kommunen hat. Lesen Sie hier, was das Verfahren so besonders macht, wieso der Mehraufwand sich lohnt und was es bei der Umsetzung – auch in der Zusammenarbeit mit dem städtischen Jugendamt – zu beachten gilt.

QHB – Paradigmenwechsel von fachlicher zu persönlicher Eignung

Die Idee, ein neues Verfahren zur Feststellung der Eignung von angehenden Kindertagespflegepersonen einzuführen, kam im Netzwerk Kindertagespflege Bonn, einem Trägerzusammenschluss des Caritasverbandes, des Katholischen Bildungswerks, der Werkstatt Friedenserziehung und des Deutschen Kinderschutzbundes Bonn, nicht von ungefähr. Eingebettet war sie in einen größeren Strategieprozess, der zum Ziel hatte, alle Prozesse qualitativ zu verbessern und Standards zu vereinheitlichen.

„Außerdem hat sich mit dem Qualitätsdialog über die weitere Professionalisierung von Kindertagespflegepersonen und den daraus hervorgegangenen Veränderungen im Qualifizierungshandbuch (QHB) der Fokus bei der Personenauswahl verschoben“, so Dr. Johannes Sabel, Leiter des Kathol. Bildungswerks Bonn. „Ausschlaggebend dafür, ob eine Person zur Qualifizierung für die Kindertagespflege zugelassen wird, ist nicht mehr nur deren fachliche Eignung – denn die fachlichen Kompetenzen lassen sich in der Qualifizierungsphase auf- und ausbauen – sondern auch und maßgeblich deren persönliche Eignung.“ Friederike Schröder, konzeptionelle Leitung des Netzwerks Kindertagespflege Bonn, weiß: „Kompetenzen wie Belastbarkeit, Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit, Empathie, Priorisierungs- und Organisationskompetenz und Leistungsbereitschaft zählen zu den relevantesten persönlichen Kompetenzen, die es für eine Kindertagespflegeperson braucht.“

Im Idealfall weiß ein Bildungsträger bereits vor der Qualifizierungsphase, ob eine interessierte Person diese Eigenschaften in ausreichendem Maße mitbringt bzw. kennt die Entwicklungspotenziale, um in der Qualifizierung gezielt und individuell die Stärken einer Person aufzubauen. Für die Qualität der angehenden Kindertagespflegepersonen ist dieser Paradigmenwechsel in der Beurteilung ihrer Eignung ein Meilenstein. Doch wie lässt sich die persönliche Eignung möglichst objektiv und validierbar feststellen?

„Diese Frage haben wir uns schon lange gestellt und auch das städtische Jugendamt in Bonn hatte ein großes Interesse daran, eine substanzielle Eignungseinschätzung der interessierten Personen zu erhalten, die im Zweifelsfall sogar Rechtssicherheit schafft“, so Johannes Sabel. Denn ist eine Pflegeerlaubnis erst einmal erteilt, lässt sich diese sehr schwer wieder zurückziehen – es sei denn, es liegt der Verdacht der Kindeswohlgefährdung vor. „Qualitätsmängel sind aber nicht immer mit Kindeswohlgefährdung gleichzusetzen und können so ein großes Problem in der Landschaft der Kindertagespflegen darstellen.“ Im Sinne der Steigerung der Qualität der Kindertagespflegepersonen und langfristig auch der Erhöhung der Quantität war für den Bildungsträger klar: Es braucht ein neues, umfassenderes und auf die persönlichen Kompetenzen ausgerichtetes Eignungsfeststellungsverfahren für die Zielgruppe der angehenden Tagespflegepersonen.

Einheitliche Eignungsfeststellung für eine heterogene Zielgruppe

Die Gruppe derer, die an der Qualifizierung zu Kindertagespflegepersonen interessiert ist, ist sehr heterogen: Menschen in unterschiedlichen Altersgruppen, mit verschiedenen Bildungsgraden vom Hauptschulabschluss bis zum abgeschlossenen Studium oder sogar einer pädagogischen Vorbildung, mit den unterschiedlichsten biografischen Hintergründen und Erfahrungen im Umgang mit Kindern können sich bewerben. „Bei der Entwicklung eines eignungsdiagnostischen Verfahrens stellte diese Heterogenität eine große Herausforderung dar,“ so Katharina Neumann, Personal- und Managementberaterin bei contec. „Das Verfahren musste für alle Interessierten anwendbar und gleich aussagekräftig sein.“ Deshalb entschied sich das Team von contec dafür, mithilfe der Persona-Methode drei Personas zu entwickeln, die typische Vertreter der breiten Zielgruppe abbildeten.

Verfahrensentwicklung: Partizipativ und nachhaltig

Für das Netzwerk Kindertagespflege Bonn war ein Aspekt besonders wichtig: Ein partizipatives Entwicklungsverfahren, in dem sowohl die Fachberaterinnen als auch die Mitarbeiterinnen aus der Qualifizierung eingebunden waren. „Diese sind es ja, die das Verfahren in der Praxis anwenden müssen und außerdem bringen sie die nötige Expertise mit, sowohl für die Definition der Personas als auch für die Erstellung eines Anforderungsprofils“, so Friederike Schröder. Katrin Sieslak ist Fachberaterin im Netzwerk Kindertagespflege Bonn und erinnert sich gut an die Anforderungen, die sie und ihre Kolleginnen an das Instrument hatten: „Wir haben uns ein Instrument gewünscht, dass ein messbares Ergebnis im Resultat entstehen lässt, da Eignungsprüfung bis dahin ausschließlich durch das Interview stattgefunden hat. Außerdem war uns ein praktischer Anteil wichtig, der uns zeigt, wie jemand unter realitätsnahen Einflüssen reagiert.“

Johannes Sabel ergänzt: „Im Sinne des Gesamtstrategieprozesses war es uns wichtig, ein einheitliches Verständnis von Qualität bei Kindertagespflegen zu entwickeln und dieses Verständnis soll auch bei der Einarbeitung neuer Kolleginnen weitergetragen werden. Wie könnte man das besser sicherstellen, als alle Beteiligten in den Entwicklungsprozess miteinzubeziehen.“ Eine weitere Herausforderung, der das Projektteam durch die Mitarbeit der Fachberaterinnen begegnen wollte, beschreibt Silvia Breyer, Projektleiterin von contec, so: „Es war von vornherein klar, dass das neue Verfahren aufwändiger sein würde als das bisherige, das lediglich aus einem strukturierten Interview mit zwei Fachberaterinnen bestand. Die Herausforderung war, den Grat zu halten zwischen den benötigten Ressourcen bzw. dem Mehraufwand im Vergleich zu vorher und dem nötigen Methoden-Mix, um alle relevanten Kompetenzausprägungen in verschiedenen Settings zu beobachten. Dafür war die Einschätzung der Fachberaterinnen unabdingbar.“ Rhea Bonnes, Fachberaterin beim Netzwerk Kindertagespflege Bonn, war zu beginn tatsächlich skeptisch: „Die Entwicklung des Verfahrens wirkte auf mich erst etwas befremdlich und ich war unsicher, ob wir damit wirklich die Persönlichkeit der Bewerber*innen sichtbar machen können. Jetzt zeigt sich, dass vor allem die Rollenspiele Fähigkeiten und Stärken der Bewerber*innen erkennen lassen, die in einem Interview nicht abgefragt werden können. Immer wieder überraschen uns Bewerber*innen wenn sie in Aktion treten und ihre Komfortzone verlassen.“

Das Ergebnis: Valides und praxisnahes Assessment Center

Der Prozess zog sich insgesamt und durch die Corona-Pandemie verzögert über zwei Jahre. „Seit Juni 2022 wenden wir das neue Eignungsfeststellungsverfahren an und haben gerade eine erste Evaluation abgeschlossen“, berichtet Friederike Schröder. Die Evaluation hat gezeigt, dass gemeinschaftlich ein ganzheitliches, sehr praxisorientiertes und vor allem valides und objektives Eignungsfeststellungsverfahren (Assessment Center) entwickelt werden konnte. „Im Vorfeld haben uns einige Fachberaterinnen verraten, dass ein einmaliges Interview als einzige Grundlage für eine so verantwortungsvolle Entscheidung durchaus Unsicherheit erzeugt hat. Mit dem neuen Verfahren hat das Netzwerk also auch einen großen Schritt für die Mitarbeitendenzufriedenheit gemacht, indem es den Fachberaterinnen Sicherheit bietet“, so Silvia Breyer. Neben dem weiterhin als erstes durchgeführten teilstrukturierten Interview gibt es nun drei weitere Elemente im Assessment Center, die durch situative Aufgabenstellungen einen Kompetenzmix prüfen. „Das ist wesentlich“, so Katharina Neumann. „Sieben Kompetenzen werden im Mix über vier verschiedene Aufgaben durch mehrere Personen beobachtet und bewertet.“ Ergänzt wird das Verfahren außerdem durch ein Rollenspiel sowie eine abschließende (Selbst-)Reflexionseinheit. „Durch das Interview starten wir in einer entspannten Atmosphäre und erhöhen dann durch die situativen Aufgaben die Komplexität des Verfahrens, um dann am Ende noch mal durchzuatmen und zu reflektieren“, so beschreibt Friederike Schröder den Aufbau. Das Verfahren wird von vier Fachberaterinnen durchgeführt – zwei Beobachterinnen, eine Moderatorin und eine Rollenspielerin. Auch die Mitarbeiterinnen aus der Qualifizierung wurden durch contec für das Verfahren geschult. In den einzelnen Einheiten werden von allen Beobachterinnen numerische Werte bei den einzelnen Kompetenzen hinterlegt und daraus eine Endziffer berechnet. „Wir bilden uns aber nicht ein, dass persönliche Kompetenzen rein auf numerischer Basis abgebildet werden können. Die Beobachterinnen dokumentieren auch qualitativ ihren persönlichen Eindruck und so entsteht ein umfassendes Bild der persönlichen Eignung und auch der Entwicklungspotenziale der einzelnen Kandidat*innen“, so Johannes Sabel.

Grenzen und Potenziale des neuen Verfahrens

Neben den positiven Rückmeldungen durch die Fachberaterinnen in der ersten Evaluation hat die Praxiserprobung des neuen, mehrstufigen Verfahrens auch einige Weiterentwicklungspotenziale sowie Grenzen bei der Anwendung in der Realität aufgezeigt. „Wir haben festgestellt, dass wir bei der Aufgabenstellung nachsteuern mussten. Diese war für manchen Teilnehmer*innen zu schwer zu verstehen, es brauchte immer wieder Hilfestellungen. Andere Kandidat*innen, die mit einer pädagogischen Vorausbildung kommen, lassen wir aus der Eignungsprüfung raus und bleiben bei dem alten Verfahren“, so Friederike Schröder. Denn obwohl versucht wurde, einen möglichst effizienten Prozess in dem Verfahren zu entwickeln, bindet es deutlich mehr personelle Ressourcen als das vorherige. „Wir haben deshalb auch die Prozesse des gesamten Verfahrens noch mal nachgeschärft und in Einzelfällen führen wir das Verfahren auch mit weniger Personen durch.“

Und warum der ganze Aufwand? Dr. Sabel ist da deutlich: „Wahrscheinlich fragt sich auch das Jugendamt, ob der zeitliche und personelle Aufwand gerechtfertigt ist, denn gesetzlich wären wir nicht dazu verpflichtet. Aber ich bin sicher, dass es das wert ist, den Aufwand zu investieren, bevor wir die Leute in die Qualifizierung bringen. Es wird perspektivisch viel weniger Problemfälle geben, die wiederum bei unseren Fachberaterinnen zu hohem Arbeitsaufkommen führen und wir können die Qualität besser steuern und optimieren, indem wir ungeeignete Kandidat*innen von vornherein ausschließen.“ Die individuelle Förderung und Entwicklung von Kompetenzen, die in der Eingangsphase vielleicht noch nicht so stark ausgeprägt sind, aber nicht zu einem Ausschluss führen, wird sich laut dem Träger ebenfalls positiv auf die Qualität auswirken. „Dennoch bleibt der Druck auf das Gesamtsystem hoch, insbesondere nach der Änderung der Personalverordnung in Kitas, nach der auch Kindertagespflegepersonen dort arbeiten dürfen. Wir brauchen nicht nur mehr Qualität, sondern auch mehr Quantität.“

Wie gut das Instrument sich auf andere Kommunen übertagen lässt, wird sich zeigen. „Wir haben die privilegierte Situation, dass wir viele Mitarbeitende haben und den Aufwand des Verfahrens abbilden können. In Kommunen, die personell weniger gut aufgestellt sind, könnte das schwierig werden“, so Friederike Schröder. Katharina Neumann ist sich aber sicher: „Das Instrument ist flexibel einsetzbar und hat eine hohe Treffsicherheit. Mit Blick auf die Qualität und Quantität von Kindertagespflegepersonen füllt es eine Lücke.“

Text: Marie Kramp

Katharina Neumann

Portrait von Katharina Neumann, Personal- und Organisationsberaterin, der contec

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