Blickwinkel auf Zeitarbeit in der Pflege

Zeitarbeit
Donnerstag, 27 Februar 2020 17:40

Zeitarbeit bzw. Leiharbeit kommt in der Gesundheits- und Krankenpflege sowie Altenpflege aktuell eine steigende Bedeutung zu. Das Thema wird in der Branche daher viel und kontrovers diskutiert – insbesondere auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels. Einige der Standpunkte von unterschiedlichen Stakeholdern der Branche stellen wir Ihnen in diesem conZepte-Beitrag vor.

Eine Initiative aus Berlin zog zuletzt mediale Aufmerksamkeit auf das Thema der Zeitarbeit in der Pflege: Der Berliner Senat hat auf Vorlage von SPD-Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci Mitte Februar eine Bundesratsinitiative zur Eindämmung der Leiharbeit in der Pflege im Krankenhaus und in Pflegeeinrichtungen beschlossen. In der Pressemitteilung heißt es: „Der Bundesgesetzgeber soll aufgefordert werden, zeitnah entsprechende Änderungen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) oder gegebenenfalls im Sozialgesetzbuch (SGB) V und SGB XI zu initiieren, durch die die Leiharbeit in der Pflege im Krankenhausbereich und in Pflegeeinrichtungen weitgehend eingeschränkt wird.“ Ziel ist die Sicherung der Qualität von Pflege. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte sich in der Vergangenheit bereits in ähnlicher Weise geäußert.

Verbot von Zeitarbeit?

Aus juristischer Sicht ist ein Verbot von Zeitarbeit jedoch nicht unproblematisch und u. a. „am Grundrecht der Berufsfreiheit streng zu messen“, wie Christian Lentföhr, Rechtsanwalt bei SNP Schlawien Partnerschaft mbB Rechtsanwälte und Steuerberater, in seinem Statement für conZepte aufzeigt:

„Ein Verbot der Leiharbeit im Pflege- und Krankenhausbereich ist am Grundrecht der Berufsfreiheit streng zu messen. Auch europarechtlich können Verbote und Einschränkungen von Leiharbeit nur aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden. Real ist ein Verbot mit dem Schutz der Leiharbeitnehmer, den Erfordernissen des Gesundheitsschutzes bzw. der Sicherheit am Arbeitsplatz nicht zu rechtfertigen. Denkbar bliebe die Rechtfertigung des Verbots im Hinblick auf die Notwendigkeit, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarktes zu prüfen. Der Gesetzgeber müsste sich, wenn er sich tatsächlich für ein – einschränkendes – Verbot der Leiharbeit in der Pflegebranche entschiede, auf entsprechende Daten stützen.“  (s. dazu auch hier)

Leistungserbringer der Pflegebranche sind oft auf den Einsatz von Zeitarbeiter*innen angewiesen, um kurzfristig und im Kontext des Fachkräftemangels ihren Personalbedarf zu decken. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e. V. (bpa) hat eine Mitgliederbefragung zum Thema Zeitarbeit durchgeführt – eine der wenigen bisher vorliegenden Untersuchungen rund um die Bedeutung von Leiharbeit in der Pflege (abgesehen von amtlichen Statistiken). Laut bpa-Befragung beschäftigen 45 Prozent der teilnehmenden Mitgliedsunternehmen Leiharbeitnehmer*innen. Herbert Mauel, bpa-Geschäftsführer, bemängelt in seinem Statement für unseren Beitrag hohe Zusatzkosten sowie negative Auswirkungen der Zeitarbeit auf das Stammpersonal:

„Der Einsatz von Zeitarbeit geschieht nur aus der Verantwortung, Pflege und Betreuung zu sichern, verschärft aber die Versorgungslücken in der Pflege. Zeitarbeit war noch nie ein Instrument der Kostensenkung, sondern verteuert die Kosten auch für pflegebedürftige Menschen massiv. Auf dem Rücken der Stammbelegschaft argumentieren Zeitarbeitsfirmen mit Wunschort und Wunscharbeitszeit ohne komplexe Verantwortungsübernahme. Unsere Mitgliedseinrichtungen müssen in jedem Fall die Versorgung an 365 Tagen im Jahr mit 52 Wochenenden rund um die Uhr sichern. Nur stabile Beziehungen führen auch zu einem guten Ergebnis. Massive Zusatzkosten ohne Auswirkung auf die Versorgung braucht niemand.“   (s. dazu auch hier)

Dennis Greenfield, Geschäftsführer der AÜG Netzwerk Human Resources GmbH, einem Verbund inhabergeführter Personaldienstleister, zeigt eine andere Perspektive auf. Er kritisiert eine mangelnde Objektivität in der geführten Debatte und betont u. a., dass Personaldienstleister Pflegekräfte ,am Bett‘ halten können.

„Der vermeintliche Wettbewerb um Arbeitskräfte, Wunschdienstpläne und Kosten sind u. a. polarisierende Aspekte. Klarstellend sei gesagt, dass es auf dem verdeckten Arbeitsmarkt ungleich mehr Pflegekräfte gibt, als in der Zeitarbeit. Personaldienstleister halten Pflegekräfte am Bett, die ansonsten anderen Tätigkeiten nachgehen würden. Eine rücksichtsvolle Dienstplangestaltung wird zum Wunschdienstplan umgedichtet. Solange in der Debatte Stundenverrechnungssätze mit Löhnen verglichen werden, gibt es keine Objektivität in der Beurteilung von Kosten. Dass ein Prozent der Beschäftigten in der Pflege aktuell so bedeutsam sein sollen, erscheint übertrieben. Die Betrachtung von Ursachen ist heilsamer, als die Konzentration auf Symptome.“  (s. dazu auch hier)

Dass Pflegekräfte, die sich entscheiden, in die Zeitarbeit zu wechseln, in der Debatte nicht für die damit verbundenen Risiken verantwortlich gemacht werden können und sollten, betont Johanna Knüppel, Sprecherin Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) Bundesverband e. V., in ihrem Statement:

„Wenn sich aktuell Politiker in Bund und Ländern sowie Arbeitgeber vehement über den Wechsel von Pflegefachpersonal in die Zeitarbeit beklagen und dessen Risiken für Versorgungsqualität, Patientensicherheit und Motivation des Stammpersonals beschreiben, muss festgehalten werden: die Leiharbeitnehmer/innen sind nicht Auslöser der Probleme, sondern Ergebnis einer verfehlten Personalstrategie und Entwicklung, die sie nicht verursacht und auch nicht zu verantworten haben. Sie haben nur einen Weg gesucht, ihrem Beruf unter für sie akzeptablen Arbeitsbedingungen nachgehen zu können. Dieselben Einrichtungen, die jetzt nach einer Eindämmung der Leiharbeit rufen, haben oft jahrelang nichts für die Mitarbeiterbindung getan.“  (s. dazu auch hier)

Interessen der Pflegebedürftigen

Die Interessen der Pflegebedürftigen dürfen in der Debatte nicht aus dem Blick geraten. Ulrike Kempchen, Leiterin Recht in der Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen e. V. (BIVA), betont die Notwendigkeit des Einsatzes ausschließlich professioneller Pflegekräfte sowie einer geregelten Zusammenarbeit zwischen allen eingesetzten Pflegekräften. Ihr Statement basiert dabei auf konkreten Erfahrungen aus Beratungsfällen der BIVA.

„Leiharbeit hat oft negative Auswirkungen für die Pflegebetroffenen: Sie sorgt für eine hohe Mitarbeiter-Fluktuation, ist teuer und mindert die Versorgungsqualität. Heimbewohner brauchen verlässliche Bezugspersonen, denen sie vertrauen können und die ihre Situation kennen. Zudem sind sie die Leidtragenden, wenn sich durch den Einsatz von besser gestellten externen Pflegekräften das Arbeitsklima verschlechtert. Auch die höheren Kosten von Leiharbeit tragen letztlich die Bewohner. Die schwerwiegendsten Probleme liegen in Qualifikation und Absprachen. Wir fordern, dass ausschließlich professionelle Pflegekräfte eingesetzt werden und es ein klares Konzept für Zusammenarbeit und Absprachen von allen eingesetzten Pflegekräften geben muss.“  (s. dazu auch hier)

Die hier aufgezeigten Positionen und Argumente können selbstverständlich nur einen Ausschnitt der Debatte zeigen, die jetzt objektiv und umfassend geführt werden muss. Dass ohne Zeitarbeit nur sehr schwer Spitzen, wie beispielsweise während einer Grippewelle, aufgefangen werden können, ist ein Punkt, auf den sich die meisten Stakeholder vermutlich einigen könnten. Gleichzeitig zeigt die Debatte eines: Es ist höchste Zeit, die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern und dazu gute, nachhaltige sowie gemeinsame Lösungen für alle Beteiligten zu finden.

Text: Linda Englisch
© Kzenon/Adobe Stock

Linda Englisch

Portrait von Linda Englisch, Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, der contec

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