eHealth in der Praxis: Technologische Hilfsmittel für die Pflege am Beispiel von Diabetes im Alter

eHealth in der Praxis
Mittwoch, 23 Oktober 2019 10:10

In Teil I und II unserer Reihe zum Thema eHealth und Digitalisierung in der Pflege haben wir die Chancen und Risiken für Leistungsanbieter dargelegt sowie Bedingungen und Möglichkeiten der Realisierung solcher Angebote diskutiert. Im dritten Teil werfen wir einen genaueren Blick auf die Praxis: Welche Angebote gibt es im Bereich der Diabetes-Überwachung und -Behandlung bei alten Menschen, wie werden sie angenommen und wo besteht Nachbesserungsbedarf?

Diabetes mellitus als Alterskrankheit: Technologien bieten sich an

Erfreulicher Weise können auch Menschen mit Diabetes Typ 1 heutzutage ein hohes Alter erreichen und Typ 2 Diabetes ist ohnehin eine altersbedingte Krankheit. Für das Management einer chronischen Krankheit wie Diabetes mellitus mit weit definierten Diagnostik- und Therapieerfordernissen bieten sich die Erprobung und der Gebrauch von technologiebasierten Systemen an, was sich in der Fülle an Angeboten spiegelt. Im Herbst 2017 fanden sich im Google Playstore insgesamt 155 Apps zum Thema Diabetes mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Leistungen. Nur acht davon beherrschen allerdings den Markt.

Was hilft alten Menschen wirklich?

Für den Gebrauch technologiebasierter Systeme zur Bewältigung von Diabetes Mellitus im Alter ist vor allem zu beachten, dass diese Anwendungen ältere und unterstützungsbedürftige Menschen auch erreichen müssen. Voraussetzung dafür sind Passgenauigkeit, Anwendungsfreundlichkeit und eine Integration in das restliche System aus hilfeleistenden Menschen. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft hat für das Diabetes-Management bei älteren Menschen die S2k-Leitlinie herausgegeben, innerhalb derer sich auch ein Abschnitt mit einer Systematisierung technologiebasierter Hilfsmittel befasst. Unterschieden wird hier nach mechanischen, technischen und elektronischen Hilfsmitteln. Mechanische Hilfsmittel wie Lupen, ein sprechendes Blutglukose-Messgerät oder Messgeräte mit großem Display, einfach zu bedienende Insulin-Pens, in Alltagsgegenstände integrierte Schritt-für-Schritt-Anleitungen und Medikamentendosetten mit Wochenvorrat können jeweils als sehr geeignet bewertet werden. Bei technischen Hilfsmitteln wie automatischen Blutdruckmessgeräten mit Oberarmmanschette und elektrischer Pumpe, Gehhilfen bei Polyneuropathie oder Mitteln zur Frakturprävention kommt es ganz auf die Handhabbarkeit an – Menschen mit hohen körperlichen oder kognitiven Einschränkungen können auch hier schnell an ihre Grenzen stoßen. Elektronische Hilfsmittel wie PC-Programme zur Analyse erhobener Messwerte, Apps zur Verbesserung der Therapietreue oder zum Datenmanagement und der Blutglukose-Steuerung werden nur als teilweise geeignet für den Gebrauch bei älteren Menschen eingestuft. Automatische Beleuchtungen mit Bewegungssensoren zur Sturzvermeidung hingegen gelten als sehr geeignet (S2k-Leitlinie ‚Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Alter‘ der Deutschen Diabetes Gesellschaft, Februar 2019).

Digitale Lösungen für alte Menschen: Benutzerfreundlich und barrierefrei

Die Leitlinie unterscheidet in vier unterschiedliche Phasen der Bedürftigkeit: funktionelle Unabhängigkeit, leichte funktionelle Abhängigkeit, starke funktionelle Abhängigkeit sowie eine palliative Situation. Ob Therapieempfehlungen die angestrebte Compliance erreichen und ob technologiebasierte Unterstützungslösungen wirklich nutzbar sind, muss vor dem Hintergrund der Bedarfe eines Menschen bewertet werden. Die bislang verwendeten Tools scheinen auf die Zielgruppe derer abzuzielen, die in der Lage sind, unter Nutzung von mobilen Anwendungen (mHealth) selbst das Diabetes-Management mitzugestalten, beispielsweise durch mobile Endgeräte wie Tablets und Smartphones oder sogenannte „wearables“. Dies steht aber oft im Kontrast zu dem, was ältere unterstützungsbedürftige Menschen benötigen. Kriterien für die Bewertung sind Verständlichkeit, Darstellung und Benutzerfreundlichkeit. Apps müssen in einer leicht verständlichen Sprache und mit Grafiken und Abbildungen programmiert sein. Die Darstellung (Textgröße, Farbe, Kontrast etc.) sollte individuell angepasst werden können. Auch Menschen ohne Erfahrungen mit Touchscreens müssen ohne große Barrieren Benutzeroberflächen identifizieren und bearbeiten können. Außerdem herrscht bei hochbetagten Menschen oft Skepsis gegenüber neuen Technologien. Sie fürchten eine Verletzung der Privatsphäre durch Kameras und Mikrofone und haben Angst, die Technologien nicht richtig bedienen zu können. Die Menschen müssen geschult werden und brauchen die Sicherheit, dass eine Unterstützung durch digitale Systeme nicht dem Wegfall menschlicher Interaktion und Unterstützung gleichkommt.

Schulung und Begleitung bei größtmöglicher Unabhängigkeit

Für Menschen mit einer stärkeren Ausprägung der funktionellen oder kognitiven Einschränkungen wird der Anteil der persönlichen medizinischen und sozialen Betreuungsleistungen höher sein müssen. Hier können inzwischen stabile digitalisierte Optionen herangezogen werden. Mit Patienten-Coachingprogrammen wie TeLiPro des DITG Deutschen Institutes für Telemedizin und Gesundheitsförderung, das sich ursprünglich an Patient*innen mit hoher Selbstmanagementkompetenz, aber längst auch an ältere und pflegebedürftige Menschen richtet, oder Telemonitoring-Lösungen wie des WZAT Westdeutschen Zentrums für Angewandte Telemedizin, lässt sich auf Basis von elektronischer Akte, vereinbarten Kommunikationsregeln und kontinuierlicher Vitalparameter-Überwachung ein sicheres und trotzdem lebensqualitätsorientiertes Management der chronischen Erkrankung Diabetes sichern.

Text: Michael Uhlig