„Wir stärken soziale Einrichtungen bei der Digitalisierung“ – Martina Saße und Lea Bergmann im Interview

Fünf Kollegen und Kolleginnen versammelt an einem Tisch, diskutieren und arbeiten am Laptop. Beitrag Digitalisierung soziale Einrichtungen
Freitag, 21 Juli 2023 09:19

In vielen sozialen Einrichtungen hat die Digitalisierung längst Einzug erhalten. Aber wie gelingt es, durch digitale Technologien Mitarbeitende zu entlasten? Und wie können Organisationen Kompetenzen erweitern und Berührungsängste abbauen? Das mobile und virtuelle Zukunftszentrum „pulsnetz.de – Mensch und Technik im Gemeinwesen“ (pulsnetz MuTiG) unterstützt Kleine und Mittlere Unternehmen (KMU) der Sozialwirtschaft dabei, Digitalisierung ganzheitlich umzusetzen. Über Chancen und Herausforderungen im Kontext von Digitalisierung und Pflege und die Notwendigkeit einer Digitalisierungsstrategie für soziale Einrichtungen sprechen wir gemeinsam mit Lea Bergmann, Verbandsreferentin beim Verband für Digitalisierung in der Sozialwirtschaft (vediso), und Martina Saße, Organisationsberaterin bei der contec GmbH.

Frau Saße, Frau Bergmann, die Digitalisierung spielt nicht ohne Grund eine immer größere Rolle – auch im Gesundheits- und Sozialwesen. In welchen Bereichen der Pflege bietet sie Ihrer Erfahrung nach Potenziale?

Martina Saße: Digitale Anwendungen können in der Pflege Arbeitsabläufe optimieren und effizienter gestalten. So können z. B. bestimmte Software-Anwendungen das Medikamenten- und Aufnahmemanagement unterstützen. Neben diesem Optimierungspotenzial ist für mich aber auch der Vernetzungsaspekt zentral: Die Digitalisierung kann in erheblichem Maße zu einer sektorenübergreifenden Versorgung beitragen sowie teilweise die Dimensionen Raum und Zeit überwinden. Damit kann die pflegerische Versorgung im ländlichen Raum besser gewährleistet und Distanzen können überwunden werden. Nicht zu vernachlässigen ist zudem die Möglichkeit, durch den Einsatz digitaler Technologien in der Pflege sowohl personelle als auch zeitliche Ressourcen besser einzusetzen und damit dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Meiner Erfahrung nach herrscht jedoch bisher bezüglich der Verbreitung digitaler Anwendungen sowohl in der Pflegebranche als auch in der Sozialwirtschaft eine große Heterogenität.

Lea Bergmann: Das beobachten wir auch im vediso: Organisationen in der Sozialwirtschaft unterscheiden sich bezüglich ihres Digitalisierungsgrades stark voneinander. Während Einige Digitalisierungsvorhaben gegenüber motiviert und optimistisch eingestellt sind, fehlt es Anderen an digitalen Kompetenzen und Berührungsängste sind stark ausgeprägt. Dennoch ist mir wichtig zu betonen: Die Digitalisierung kann sowohl psychisch als auch physisch Entlastung bieten und die Arbeitgeberattraktivität steigern, sofern alle Mitarbeitenden aktiv an den Prozessen teilhaben.

Es gibt also einige Bereiche, die vom Einsatz digitaler Anwendungen profitieren können. Aber wo bekommen soziale Einrichtungen bei der Umsetzung von Digitalisierung möglicherweise Probleme und was sollten die Organisationen berücksichtigen?

Martina Saße: Da denke ich sofort an einen Aspekt, der häufig Fragen aufwirft: die Finanzierung. Denn bei Digitalisierungsvorhaben in der Sozialwirtschaft und insbesondere bei KMU stellt sich meist die Frage: Woher kommen die finanziellen Mittel, die ein solches Projekt benötigt? Vor dem eigentlichen Vorhaben gilt es somit, die benötigten finanziellen ebenso wie personellen Ressourcen einzuplanen. Und nicht nur das: Soziale Einrichtungen sollten das Personal und die Klient*innen aktiv in die Planung einbeziehen. Denn das fördert die Technikakzeptanz ebenso wie den Aufbau von digitalen Kompetenzen und kann möglichen Problemen vorbeugen. Soziale Einrichtungen sollten sich selbst und ihre Mitarbeitenden zu einem erfolgreichen Umgang mit der Digitalisierung befähigen. Die Expert*innen des mobilen und virtuellen Zukunftszentrums pulsnetz MuTiG stehen dafür mit Beratungen, Trainings und einem Wissensaustausch zur Verfügung. Denn das Projekt begleitet KMU aus der Sozialwirtschaft in ganz Deutschland kostenlos bei Digitalisierungsprozessen.

V.l.n.r.: Lea Bergmann, vediso e. V.; Martina Saße, contec GmbH

Für KMU in der Sozialwirtschaft gibt es einige Unklarheiten bezüglich der Digitalisierung in den eigenen Einrichtungen. Welche Fragen werden in diesem Zusammenhang besonders häufig gestellt?

Lea Bergmann: Wie bereits von Martina Saße erwähnt, kommen auch im Projektzusammenhang häufig Fragen der Finanzierung von Digitalisierungsvorhaben auf, für die pulsnetz MuTiG verschiedene Fördermöglichkeiten aufzeigt. Die meisten Fragen beziehen sich jedoch auf die konkrete Umsetzung von Digitalisierung durch soziale Einrichtungen und deren Vorbereitung, z. B.: Wie können wir einzelne Maßnahmen planen und evaluieren? Und welche strukturellen Voraussetzungen braucht eine erfolgreiche Umsetzung? Für diese Fragen zeigen die kostenlosen Beratungen individuell angepasste Handlungsoptionen auf, die dann selbstständig und unter Einbezug der Mitarbeitenden und Klient*innen angegangen werden können.

Möchten Organisationen ihre Prozesse digitalisieren, so können gegebenenfalls Umstrukturierungs-Maßnahmen notwendig werden. Frau Saße, was können soziale Einrichtungen tun, um die Digitalisierung ganzheitlich anzugehen?

Martina Saße: Ich denke es ist hilfreich, sich ein zentrales Problem vor Augen zu führen: Schlechte Prozesse können nicht gut digitalisiert werden. Das bedeutet, dass Organisationen ihre Arbeitsprozesse vor einer Digitalisierung bedarfsgerecht optimieren sollten. Es gilt, die eigenen Bedarfe zu erheben, Ziele zu formulieren, Maßnahmen und Möglichkeiten zu eruieren und Ressourcen zu checken. Diese bedarfsgerechte Vorbereitung kann die Akzeptanz der Mitarbeitenden fördern. Und auch die frühzeitige Einbindung von Mitarbeitenden und Nutzer*innen sowie eine positive Kommunikation von Veränderungen können die Akzeptanz steigern. Weiterhin sollte auf struktureller Ebene der Präsenzbegriff in personenbezogenen Dienstleistungen neu bestimmt werden. Im Wesentlichen geht es darum zu definieren, in welchen Situationen eine tatsächliche Präsenz erforderlich ist und welche sich wiederum gut über digitale Alternativen abdecken lassen.

Für ein erfolgreiches Digitalisierungsvorhaben bedarf es somit einige vorbereitende Maßnahmen. Frau Bergmann, was gilt es neben der Optimierung von Arbeitsprozessen und der aktiven Beteiligung von Mitarbeitenden noch zu beachten?

Lea Bergmann: Eine ganzheitliche Vorgehensweise ist für den Erfolg von Digitalisierung in sozialen Einrichtungen zentral. Es reicht nicht aus, sich nur punktuell und bei akutem Bedarf mit digitalen Anwendungen auseinanderzusetzen. Damit die digitale Transformation nachhaltig und partizipativ gelingt, muss das Thema umfassend und strategisch angegangen werden – dabei unterstützt das kostenlose Beratungsangebot von pulsnetz MuTiG. Der Fokus sollte zudem stets auf den späteren Nutzer*innen liegen, um sie entsprechend ihrer eigenen Kompetenzen abzuholen. Diesen Aspekt greifen auch die Trainings von pulsnetz MuTiG auf. Sie vermitteln späteren Nutzer*innen digitaler Anwendungen das nötige Know-how und befähigen sie zu einem guten Umgang damit. In Workshops werden Nutzer*innen niedrigschwellig in bestimmten Themen geschult. Dabei geht es z. B. um ein erfolgreiches Prozess- und Change-Management oder die Frage nach digitalen Kompetenzen. Es bleibt jedoch immer auch Platz für konkrete individuelle Fragestellungen der Teilnehmer*innen.

Wir haben nun bereits über verschiedene Voraussetzungen für erfolgreiche Digitalisierungsvorhaben in sozialen Einrichtungen gesprochen. Frau Saße, wenn Sie noch einmal für sich selbst bilanzieren: Was zeichnet das Projekt pulsnetz MuTiG für Sie besonders aus?

Martina Saße: Das Projekt trägt insbesondere dazu bei, dass soziale Einrichtungen Entscheidungen im Bereich der Digitalisierung auf der Grundlage einer fundierten Informationsbasis treffen. Die Trucks der Digitalisierung (TruDis) ermöglichen einen Einblick in digitale Anwendungen und können dadurch Berührungsängste abbauen. Außerdem bieten sie einen Überblick über bereits am Markt vorhandene Technologien und können räumliche Distanzen überwinden. Darauf legt das Projekt großen Wert, um auch KMU im ländlichen Raum zu erreichen. Neben den TruDis soll zudem eine frei zugängliche Internetplattform die Wissensinhalte für KMU bereitstellen. Ich erhoffe mir von dem Projekt, KMUs in ihren Digitalisierungsvorhaben zu stärken und damit den Wettbewerb zu fördern. Zudem könnte eine aktive Gestaltung von Digitalisierungsprozessen zu einer höheren Arbeitgeberattraktivität beitragen.

Vielen Dank, Ihnen beiden, für das Gespräch!

 

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Gespräch: Leonie Hecken
Titelbild: © Zamrznuti tonovi/Adobe Stock

Martina Saße

Portrait von Martina Saße, Digitalisierungs- und Organisationsberaterin bei der Contec

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