Buchbesprechung: Experten über das Ende des „normalen“ Lebens

Neues Normal Begrüßung Corona
Freitag, 15 Oktober 2021 15:56

Nach der Pandemie werden wir anders leben als zuvor, auch um die anstehenden Herausforderungen zu meistern: Das ist die These, mit der der Journalist Ulrich Ende mit Experten aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen ins Gespräch kommt. Wir haben die Dialoge mit Blick auf die Gesundheits- und Sozialwirtschaft einmal genauer unter die Lupe genommen und freuen uns darauf, auch mit Ihnen dazu in den Austausch zu kommen. → Hier geht’s direkt zu unserer Umfrage.

Cover - Das Neue Normal

Cover „Das neue Normal“

In der Lektüre „Das neue Normal“ nehmen Künstler und Experten aus Ökonomie, Virologie, Neurologie, Ethik und den Erziehungswissenschaften aus ihrem Wirkungskreis heraus Stellung zum gesellschaftlichen Umgang mit der Corona-Pandemie. Der Herausgeber Ulrich Ende hat dazu bekannte Männer des öffentlichen Lebens wie Thomas Brussig, Gerald Hüther, Christian Jassoy, Manfred Prenzel, Bernd Raffelhüschen und Helmut Schleich befragt. Im Rahmen der Gespräche entwerfen sie Szenarien, wie die Pandemie das Leben verändert und was das für die Zukunft bedeutet. Sie geben zudem Erklärungsansätze, wie es um die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen in Deutschland bestellt ist, wo Probleme liegen und wie diese zukünftig angegangen werden können. Der Grundtenor des Buches ist: Auch wenn Deutschland die Pandemie in den Griff bekommt, ein Zurück zum vorherigen Zustand wird es nicht geben. Alle Befragten sind aber um Lösungsansätze bemüht, die auch Kritik an gegenwärtigen Gesellschaftsstrukturen, unbequeme Wahrheiten über typisch deutsche Verhaltensweisen (vor allem in Krisensituationen) wie auch Vergleiche zwischen heute und dem Leben von vor 500 Jahren mit sich ziehen.

Mit suggestiven Fragen zu ehrlichen Lageeinschätzungen

Das Buch ist eine Zusammenstellung von sechs Einzelgesprächen jeweils zwischen Herausgeber und Künstler oder Experte. Die Gespräche zeichnen sich durch oft konstruktive und klärende, manchmal aber auch bewusst suggestive Fragestellungen vonseiten des Fragestellers aus, die den Befragten ehrliche Lageeinschätzungen entlocken. Dies ist zum Beispiel in dem Gespräch mit dem Wirtschaftswissenschaftler Bernd Raffelhüschen der Fall: Nachdem Ulrich Ende die Außerachtlassung der wirtschaftlichen Lage während der Pandemie erwähnt, folgt darauf eine Kritik von Raffelhüschen an der gesamten Organisationsstruktur Deutschlands und insbesondere am Gesundheitsministerium. Diesem wirft er vor, sich von Medien steuern zu lassen und Stimmungen zu schüren, statt vernünftig und besonnen zu agieren. Laut dem Wirtschaftsexperten stellt sich der erste Lockdown im Nachgang als überzogen dar.

Ulrich Ende hangelt sich in jedem Gespräch an den Fragen entlang, die auch den gesellschaftlichen und medialen Diskurs während der Corona-Pandemie geprägt haben: Brauchen wir 16 Ministerpräsident*innen, um Entscheidungen über die nationale Sicherheit zu treffen? Wie sollten Kinder und Jugendliche lernen? Können wir uns eine Wirtschaftspolitik wie die der Bundesregierung während der Pandemie wirklich leisten? Der Herausgeber weiß, wo er bei den Interviewten nachhaken muss, um sie aus der Reserve zu locken. Diesen gelingt es, ihre Meinung locker und ehrlich, aber ohne große Umschweife, auf den Punkt zu bringen. Damit hat Ulrich Ende zwar einerseits ein gutes Händchen bewiesen, was die Auswahl der Gesprächspartner betrifft. Andererseits – und das sei hier betont – hätte sicherlich auch die ein oder andere nicht-männliche Person etwas Interessantes zu dem Thema beizutragen gehabt.

Im Plauderton gesellschaftliche Probleme erkennen

Bei aller Schwere des Themas weiß das Buch mit seinen lockeren, leicht zu verfolgenden Plaudereien zu unterhalten. Der umgangssprachliche Ton zwischen den Gesprächspartnern erinnert an eine Stammtisch-Szenerie, wie es sie aufgrund der Kontaktbeschränkungen während der Corona-Zeit lange nicht gab. Die Plaudereien haben in diesem Fall etwas Verbindendes, denn als Leser*in ist man selbst ebenfalls stets um Einordnung der aktuellen Geschehnisse bemüht, man fühlt sich mitgenommen.

In einem so ernsten und hochkomplexen Diskurs mit medizinischen, soziologischen und wirtschaftlichen Einflussfaktoren stellt sich die Lektüre als sehr erfrischend dar, da sie an der einen oder anderen Stelle trotz nicht ganz brandneuer Gedankengänge auf wichtige gesellschaftliche Probleme hinweist. So spricht der Kabarettist Helmut Schleich von Fürsorge, die schnell auch mal als Belagerung empfunden werden kann. Dies hat die Branche der Eingliederungshilfe während der Corona-Pandemie in vielfacher Weise erfahren, als Bewohner*innen von besonderen Wohnformen ähnlich wie Menschen in einem Pflegeheim von der Außenwelt abgeschottet wurden. Für die Zukunft bleibe nur zu hoffen, dass das zukünftige Gesundheits- und Sozialsystem Nischen schafft, in denen lebendige und menschliche Bedürfnisse und der Mensch als soziales Wesen wieder mehr in den Blick der Gesellschaft rücken.

Auswirkungen auf die Gesundheitsbranche

Besonders auffällig war der im Verlauf der Gespräche immer wiederkehrende Gedanke, dass die Corona-Krise lauter Problemfelder in der Gesellschaft aufgezeigt hat, die schon vor der Krise da waren, aber ignoriert bzw. nicht als Probleme erkannt wurden. Dazu zählt zum Beispiel die Erkenntnis, dass Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen deutlich mehr ausgebildetes Personal benötigen, damit die vorhandenen Fachkräfte nicht im unzumutbaren Dauerstress arbeiten müssen. Auch der Wert der Arbeit in den sozialen Berufen sollte mehr finanzielle Anerkennung bekommen. Die Pandemie habe laut Ulrich Ende gezeigt, dass die Arbeit in den Krankenhäusern eine der wichtigen Säulen in dieser Gesellschaft ist. Die Corona-Krisen- und Lockdown-Erfahrungen werden von allen Experten als Chance wahrgenommen, sich über das gesamtgesellschaftliche Verhalten bewusst zu werden und stärker über Verbesserungen in der Gesundheitsbranche, aber auch im deutschen Schulsystem und in Wirtschaftsfragen, nachzudenken.

Diese Lektüre möchten wir zum Anlass nehmen, uns mit Ihnen über ein „neues Normal“ in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft auszutauschen. Dazu haben wir ein paar Fragen an Sie. Mit Ihren Antworten helfen Sie uns, für die Zeit „nach Corona“ die richtigen Impulse bei unseren Themen zu setzen. Teilen Sie uns gern Ihre Erfahrungen und Erwartungen mit! Dabei bleiben Sie völlig anonym.

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Die Ergebnisse werden wir in unserem Magazinbereich mit Ihnen teilen, sodass wir gemeinsam den Diskurs um eine aktive Gestaltung unserer Branche weiterentwickeln können. Wenn Sie uns einen O-Ton geben oder mit uns zum Thema sprechen wollen, schreiben Sie uns einfach kurz an pr@contec.de.

Bibliografische Angaben:
„Das neue Normal. Wie die Pandemie unser Leben verändert“ (Berlin 2021) von Ulrich Ende (Hrsg.) ist ein Buch über den Wandel unserer Zeit, der durch die Corona-Pandemie seinen Anstoß gefunden hat. Experten entwerfen Szenarien, wie die Pandemie uns und unser Leben verändert und was sie für die Zukunft bedeutet (→ zur Verlagsseite)

 

Text: Sarah Rütershoff; Titelbild: © Drazen/adobe.stock.com