Gewaltfreie Kommunikation in der Pflege: Ein Miteinander auf Augenhöhe
Gute Führung braucht gute Kommunikation, denn Mitarbeitende zu führen heißt vor allem, Gespräche auf Augenhöhe zu führen. Auch für Angehörige und Pflegebedürftige ist eine professionelle Art der Kommunikation seitens der Einrichtung wichtig. In der Pflege heißt es aber auch, mit schwierigen und oftmals stressigen Situationen umzugehen. Schnell fällt dann schon mal ein unüberlegtes Wort, was in einer unreflektierten Auseinandersetzung enden kann. Wir zeigen Ihnen, wie Sie mit der gewaltfreien Kommunikation herausfordernde Situationen konstruktiv gestalten und lösen.
Welche Besonderheiten prägen die Kommunikation in der Pflege?
Die Arbeit einer Führungskraft in der Pflege ist charakterisiert durch ein vielschichtiges Anforderungsprofil. Neben der pflegerischen Betreuung und Begleitung der Klient*innen und deren Angehörigen sind soziale und vor allem kommunikative Kompetenzen in Bezug auf den Umgang mit und die Führung von Mitarbeitenden zentral. Denn verschiedene – häufig konfliktfördernde – Bedingungen prägen die Zusammenarbeit und somit auch die Kommunikation in der Pflege:
- Grundsätzlich obliegt es der Führungskraft, den Mitarbeitenden schlechte Nachrichten, beispielsweise Veränderungen im Dienstplan, zu überbringen.
- Die Führungskraft kann sich räumlich nur schwer von den Mitarbeitenden distanzieren. Dadurch finden viele Gespräche zwischen Tür und Angel statt.
- Wahrgenommene hohe Ansprüche der Pflegebedürftigen und Angehörigen sowie eigene überhöhte Qualitätsansprüche sind eine starke Belastung für die Pflegekräfte. Führungskräfte haben die Aufgabe, einen objektiven Spiegel entgegenzuhalten, um die Resilienz ihrer Mitarbeitenden zu fördern.
Das Bewältigen von Krisensituationen sowie Empathie hinsichtlich der Bedürfnisse der Mitarbeitenden sind daher sowohl in der pflegerischen Arbeit als auch in der Kommunikation Grundvoraussetzung einer gelingenden Führung.
Gewaltfreie Kommunikation bedeutet Wertfreiheit
Viele Führungskräfte verstehen unter einer wertschätzenden und gelungenen Kommunikation die Aufrechterhaltung von Harmonie und die Vermeidung von Konflikten. Dies zeigt sich in der Praxis in einem eher unterwürfigen Kommunikationsverhalten. Häufig stauen sich Missverständnisse oder Meinungsverschiedenheiten dann so lange an, bis es zu einer Konfrontation mit Schuldzuweisungen und Vorwürfen kommt. Grundlage eines solch unreflektierten Handelns ist die persönliche Wahrnehmung, dass das Verhalten des Gegenübers Verursacher der negativen Gefühle in einer stressigen Situation ist.
Die gewaltfreie Kommunikation kann dabei helfen, Konflikte zu lösen bzw. zu verhindern, ohne sein Gegenüber dabei zu kritisieren und anzugreifen. Jedoch ist sie weniger eine Kommunikations-Technik als vielmehr eine Haltung, die sich im täglichen Umgang mit Menschen widerspiegelt. Kern der gewaltfreien Kommunikation ist, sich einen Überblick zu verschaffen, sich mit seinen eigenen Bedürfnissen und denen des Gegenübers wertfrei auseinanderzusetzen und diese als Grundlage der Konflikte zu betrachten.
Die inneren Antreiber als Grundlage der gewaltfreien Kommunikation
Das Modell der inneren Antreiber kann Ihnen dabei helfen, Ihre Bedürfnisse und Trigger kennenzulernen – sie dienen also der Selbstreflexion. Innere Antreiber sind zumeist unbewusste Muster im Denken und in der Kommunikation, die die eigene Wahrnehmung von Realität prägen. Diese können beispielsweise sein:
- „Sei stark“ oder „Zeig keine Schwäche“
- „Mach es allen recht“
- „Streng dich an“
- „Sei vorsichtig“
Ist das Bedürfnis, das hinter dem Antreiber liegt, nicht erfüllt, kommt es zu Unzufriedenheit und Konflikten. Die Bedeutung und Anwendung der inneren Antreiber liegen also darin, zu reflektieren, was Sie und Ihre Mitarbeitenden ausmacht. Dieses Verständnis ermöglicht, Inhalte klar und deutlich, aber verständnisvoll zu transportieren und trägt so zu einem lösungsorientierten Umgang mit Konflikten bei.
Als Beispiel
Eine Pflegedienstleitung beschreibt folgendes Problem:
Eine Mitarbeiterin hatte auf Veranlassung des Leitungsteams den Wohnbereich gewechselt. Durch den Wechsel offenbarten sich bei der Mitarbeiterin Schwächen, die im Vorfeld niemand erwartet hätte. Im neuen Team kam es zu Spannungen, die Mitarbeiterin fiel durch Schlechtleistungen auf. Im Coaching beschreibt die Pflegedienstleitung weiter, dass die Mitarbeiterin sich besser einschätzen würde, als sie nun tatsächlich sei. Eine Veränderung der Situation wurde aber nicht in Erwägung gezogen, da das Leitungsteam ein schlechtes Gewissen hatte: Die Mitarbeiterin hatte sich bereit erklärt zu wechseln, weil niemand anderes wollte. Das Leitungsteam fand stattdessen Gründe, warum man ihr eine erneute Versetzung nicht zumuten könne. Dieses Verhalten empfanden die Führungskräfte als wertschätzend und das wollten sie unbedingt bleiben.
Im Coaching-Prozess konnte die Führungsebene nun Folgendes für sich ableiten:
- Den Zustand zu erhalten und Probleme nicht anzusprechen, ist auch eine Form des Lügens.
- Nicht mitzuteilen, dass man etwas wahrnimmt, womit man nicht zufrieden ist, ist wenig bis gar nicht wertschätzend.
- Die Situation aus falscher Rücksichtnahme nicht zu verändern, spricht nicht für Augenhöhe. Denn indirekt steckt folgende Vermutung dahinter: Ich traue dir nicht zu, diese Situation ehrlich aufzulösen und auf eine mutmaßliche Enttäuschung angemessen zu reagieren. Ganz im Gegenteil: Ich traue dir zu, dass du darüber so verärgert bist, dass du der Einrichtung Schaden zufügen wirst. Ergo: Ich traue dir nichts Gutes zu, aber vermute einen Täter in dir.
Übrigens: Die Mitarbeiterin war überglücklich, als endlich mit ihr gesprochen wurde. Denn sie hatte Angst davor zuzugeben, dass sie sich verschätzt hat und wollte nicht enttäuschen.
So wenden Sie gewaltfreie Kommunikation an
Um den Ansprüchen der Kommunikation in der Pflege gerecht zu werden, ist es notwendig, dass Sie sich zunächst in sich selbst einfühlen können. Es geht darum, auf das zu hören, was in Ihrem Inneren vorgeht, welche Gefühle und Bedürfnisse sich hinter Ihren Gedanken und Handlungen verbergen – ohne dafür andere zu kritisieren oder verantwortlich zu machen. Daher gilt es nicht, konkrete Gesprächstipps umzusetzen, sondern Ihre inneren Antreiber kennenzulernen. Folgende Fragen sind dabei hilfreich:
- Was ist Ihnen besonders wichtig und was brauchen Sie?
- In welchen Antreibern finden Sie sich besonders wieder?
- Mit welchen Arbeitsstilen kommen Sie immer wieder in Konflikt?
Erst, wenn Sie einfühlsam mit sich selbst umgehen und Ihre eigenen Bedürfnisse herausgestellt haben, können Sie auch die Bedürfnisse Ihrer Mitarbeitenden wahrnehmen. Sie können zwar nicht in Ihre Gesprächspartner*innen hineinschauen, aber Sie können empathisch zuhören und mit Rückgriff auf Ihre eigenen Erfahrungen auf den Kern des Konfliktes stoßen.
Diese drei Praxistipps können zudem die Gesprächssituation erleichtern:
- Schaffen Sie konkrete Räume für die Kommunikation. Machen Sie mit Ihren Mitarbeitenden Termine aus und klären Sie Ihre Belange nicht auf dem Flur.
- Bereiten Sie Gespräche gut vor. Nehmen Sie sich dafür genügend Zeit.
- Zeigen Sie Ihren Mitarbeitenden, wann Sie für ein Gespräch offen sind, und wann es eher nicht passt. Sie dürfen Ihre Tür ruhig schließen.
Gewaltfreie und wertschätzende Kommunikation bedeutet nicht, dass Sie keine Forderungen oder Kritik mehr äußern dürfen. Es bedeutet, dass Sie sich Ihrer eigenen Bedürfnisse bewusst sind und diese berücksichtigen. Erst dadurch erreichen Sie, empathisch im Gespräch mit Ihren Mitarbeitenden zu sein und sie mit ihren Gefühlen, Bedürfnissen, Wünschen und Ängsten wahr- und anzunehmen. So gelingt es Ihnen, Ihren Mitarbeitenden auch in schwierigen Situationen auf Augenhöhe zu begegnen und ihnen mit Wertschätzung entgegenzutreten.
Text: Elena Dieckmann/ Ute Cichos© fauxels/ Pexels