„Die Gruppe sichert unser Überleben“: Teamzusammenhalt in der Krise

Teamzusammenhalt
Dienstag, 16 Juni 2020 10:59

Führen in der Krise V Der Mensch als soziales Wesen orientiert sich an seinen Artgenossen, auch und gerade in gefährlichen Situationen. Im letzten Teil unserer Psychologie-Serie „Führen in der Krise“ mit Monika Puls-Rademacher, Diplom-Psychologin und Managementberaterin bei contec, haben wir sie über die Möglichkeiten für Führungskräfte befragt, um den Teamzusammenhalt in der Krise zu stärken.

Frau Puls-Rademacher, warum ist ein gesonderter Blick auf die Teams in der Krise neben der Beachtung individueller Bedürfnisse von Mitarbeitenden so wichtig?

Der Mensch ist eben ein soziales Wesen. Nicht nur im Arbeitsumfeld sind wir in Teams organisiert, unser ganzes Leben findet in sozialen Gruppen statt: Die Familie, der Freundeskreis, der Sport- oder Freizeitverein etc. Wir besitzen eine Schwarmintelligenz und wissen unbewusst um die Vorteile, die es für uns selbst hat, wenn wir uns mit anderen zusammenschließen. Wir haben mehr Informationen, mehr Handlungsmöglichkeiten und vielmehr Chancen, von anderen zu lernen – das ist in einer Gefahrensituation ein überlebenswichtiger Vorteil, insbesondere, wenn es sich um eine noch unbekannte Gefahr handelt. Außerdem gilt natürlich gerade in sozialen Einrichtungen während einer Krise, den Betrieb so gut wie möglich aufrecht zu erhalten. Das geht besser in einem starken Team. Teamzusammenhalt ist damit für Führungskräfte nicht erst während einer Krise sehr wichtig.

Was bedeutet Teamzusammenhalt aber konkret für eine Krise wie die Corona-Pandemie? Trotz aller Lockerungen müssen wir ja weiter auf Abstand setzen.

Genau, das Heikle an der Corona-Pandemie ist, dass die Schutzmaßnahmen – verständlicher Weise – vor allem in der Reduzierung sozialer Kontakte liegen und auch Arbeit in möglichst immer denselben Konstellationen stattfinden sollte und mit dem gebotenen Abstand. Das entzieht uns an vielen Stellen die Sicherheitsgrundlage der sozialen Gruppe, die wir so dringend brauchen, sowohl im Privaten als auch im Beruflichen. Deshalb geht es in Zeiten der Pandemie, wie überhaupt in der Krise, darum, alle noch möglichen Formen der Teamarbeit zu nutzen, um das Zusammengehörigkeitsgefühl und den Teamzusammenhalt zu stärken sowie den Erfahrungsaustausch auch unter den gebotenen Sicherheitsmaßnahmen zu ermöglichen. Ein Team mit „Wir-Gefühl“ ist ein entscheidender Vorteil, wenn es schwierig wird!

Wir haben ja bereits in unserem letzten Interview mit Ihnen gelernt, welche Persönlichkeitstypen sich in der Krise herauskristallisieren und wie diese beispielsweise auf die Corona-Pandemie reagieren. Inwiefern beeinflusst eine Krise den Teamzusammenhalt und wie unterscheidet sich dies von der Reaktion eines Individuums?

Für Führungskräfte ist es wichtig, nicht nur die Reaktionen der einzelnen Mitarbeitenden auf die Krise zu erkennen und zu verstehen, sondern auch zu bewerten, wie sich ein Team insgesamt bewährt. Wenn man sich noch mal die drei Persönlichkeitstypen vor Augen führt – die Aktiven, die der Krise den Kampf ansagen, die Unsicheren, die eher abwarten und sich stark an der Führung orientieren, und die Ängstlichen, die sich ganz zurückziehen – dann kann man ein Team so zusammensetzen, dass Ausgewogenheit hinsichtlich dieser Persönlichkeitseigenschaften entsteht. In Corona-Zeiten haben viele soziale Einrichtungen daraufgesetzt, in festen Team-Konstellationen zu arbeiten. Das bedeutet, dass die Teamkonstellation über längere Zeit tragfähig sein muss. Daher ist es umso wichtiger bei der Teambildung darauf zu achten, dass immer genügend offensiv agierende Teammitglieder vorhanden sind, um motivierend auf die unsicheren und unentschlossenen Teammitglieder wirken zu können.

Das wäre eine Möglichkeit für die Steuerung von Teams in der alltäglichen Arbeit. Gibt es auch Möglichkeiten, den Teamzusammenhalt jenseits davon zu stärken?

Ja und das ist auch unbedingt nötig. In einer Studie wurde untersucht, was einer kreativen Idee unmittelbar vorausgeht. Es hat sich gezeigt, dass häufig ein Gespräch mit Kolleg*innen über ein relativ belangloses, fachfremdes Thema vorausging; ein Austausch im Team beim Kaffee oder Mittagessen hat die neuen Ideen begünstigt. Das unterstreicht noch einmal die Bedeutung der Teams und des Gefühls der Zusammengehörigkeit. In einer neuartigen Krise wie der Pandemie werden gute und vor allem kreative Lösungen dringend gebraucht und wenn Mitarbeitende das Gefühl haben, daran mitgewirkt zu haben, dann hat das gleich mehrere positive Effekte: Mitarbeitende erfahren Selbstwirksamkeit, sie spüren Erfolge in einer Zeit der Unsicherheiten und schlechten Nachrichten und die Lage verbessert sich tatsächlich mit guten Lösungen. Führungskräfte sollten deshalb unbedingt den persönlichen Austausch zwischen Kolleg*innen ermöglichen. Entweder in Kleingruppen, bei denen Abstandsregelungen eingehalten werden können oder z. B. durch die Bereitstellung der digitalen Infrastruktur. Video-Chats haben sich in dieser Krise als äußerst nützlich erwiesen. Auch für die Entstehung des „Wir-Gefühls“ ist es wichtig, dass man etwas gemeinsam macht, dafür müssen nicht alle im selben physikalischen Raum sein.

Sie schlagen vor, die Mitarbeitenden in die Bewältigung der neuartigen Herausforderungen aktiv einzubinden. Führt das nicht zu einer Überforderung, schließlich müssen sie ja auch unter den erschwerten Bedingungen den Regelbetrieb irgendwie am Laufen halten?

Das sollte die Führungskraft genau im Blick behalten. Die Arbeit in Gruppen zur Bewältigung bestimmter neuer Herausforderungen – beispielsweise die Ausarbeitung neuer Besuchskonzepte oder Möglichkeiten zur Beschaffung von Schutzkleidung oder die Akquise freiwilliger Helfer*innen etc. – sollte nach Möglichkeit entsprechend der Fähigkeiten und Verfügbarkeiten der Mitarbeitenden vergeben werden. Eine Führungskraft wird in Krisenzeiten sehr schnell neue Prioritäten setzen und die weniger dringenden Aufgaben zurückstellen. Das bringt Entlastung für die Mitarbeitenden und etwas Freiraum für die Arbeit an aktuell wichtigen Themen. Jedes dieser Themen ist ein Element der Gesamtstrategie und damit ein Teil des Gesamterfolges. Mitarbeitende sollten wissen, dass ihre Führungskraft ihnen die Aufgabe zutraut und dass sie in ihrem Team einen wichtigen Beitrag zum Gesamterfolg leisten. Das wirkt enorm motivierend und wird zusammen mit der Würdigung des Erfolgs der Teamarbeiten – auch des Teilerfolgs – weitere Energie freisetzen.

Kurz zusammengefasst: Was ist das Wichtigste für den Teamzusammenhalt in einer Krise?

Starke Führung, die Orientierung bietet und die Aktionen in die richtigen Bahnen lenkt, die Räume schafft – virtuell oder physisch (unter den gebotenen Abstandsregelungen) – zum persönlichen Austausch. Es braucht eine Führung mit einer klaren Strategie und Prioritätensetzung und einem guten Blick für die Dynamiken in ihren Teams. Außerdem braucht es etwas Flexibilität in der Zusammenstellung von Teams und eine motivierende Kommunikation, die jedem das Gefühl gibt, einen Beitrag zur Problemlösung leisten zu können. Wenn wir dann noch die Erfolge anerkennen und wertschätzen, entsteht auch darüber ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das wir mit „gemeinsam sind wir stark“ beschreiben können. Dieses starke Gefühl der Gemeinsamkeit lässt uns auch für die weiteren Aufgaben motiviert und gerüstet sein.

Text: Marie Kramp
© ThisisEngineering RAEng / Unsplash

Silvia Breyer

Portrait von Silvia Breyer, contec GmbH

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