Im Gespräch: Prof. Dr. Silja Hartmann über Trends in der Führung und welche Bedeutung Resilienz für Erfolg hat

Eine Gruppe von schicker gekleideten Menschen steht zusammen und redet miteinander. Der Kontext scheint eine Arbeitssituation zu sein.
Dienstag, 14 November 2023 08:29

Fehlende Fachkräfte und eine immer volatiler und disruptiver werdende Arbeitsumgebung: Dass Organisationen und ihre Mitarbeitenden positiv mit schwierigen Situationen umgehen können und dabei mental gesund bleiben, gewinnt zunehmend an Bedeutung. Prof. Dr. Silja Hartmann leitet seit 2023 das Fachgebiet für Strategische Führung und Nachhaltigkeitsmanagement an der Technischen Universität Berlin. Im conZepte-Interview spricht sie mit uns über aktuelle Trends in Führung und Management und erklärt, warum Resilienz so wichtig ist.

Frau Hartmann, können Sie zum Einstieg kurz erläutern, welche Management Modelle man derzeit am häufigsten in Unternehmen findet und woran das liegt?

Ein Portrait von Prof. Dr. Silja Hartmann.

© Blende 11

Prof. Dr. Silja Hartmann: Wir beobachten in den letzten Jahren vor allen Dingen sehr häufig, dass man mithilfe von Management Modellen versucht, Unternehmen oder Organisation effizienter zu gestalten. Einfacher gesagt, wird versucht mit weniger mehr zu schaffen, man versucht mit weniger Ressourcen auszukommen oder schneller zu sein. Diese Art der Ausgestaltung funktioniert häufig dann gut, wenn Dinge erledigt werden, die Routine sind. Also wenn schon gewisse Prozesse einstudiert sind und die Tätigkeiten, die in der Organisation anfallen, dann im Rahmen dieser Prozesse ausgeführt werden. Die Frage ist nur, ob eine bis zur Grenze effiziente Ausgestaltung die Freiräume zulässt, die es in dem Moment braucht, wenn etwas passiert, das vielleicht mit den Standard-Prozessen nicht gut zu adressieren ist. Und da sehen wir dann häufig, dass Systeme, Organisationen und Angebote wirklich an ihre Belastungsgrenzen kommen, weil eine gewisse Flexibilität fehlt und sie bis zur Grenze ausgelastet sind. Teilweise ist es dann so, dass die mangelnde Flexibilität von Organisationen mit der Flexibilität von Mitarbeitenden ausgeglichen wird. Da ist die Frage, ob das eine Gestaltungsraum ist, der wirklich langfristig tragbar ist.

Was würden Sie einem Unternehmen empfehlen, inwiefern diese Modelle anders ausgestalten werden sollten, damit die nötige Flexibilität vorhanden bleibt?

Prof. Dr. Silja Hartmann: Wichtig ist hier der Blick auf Management und Führung. Management ist der breitere Begriff, der im Prinzip beschreibt, wie eine Organisation organisiert, strukturiert und designt ist. Wenn ich von Führung spreche, meine ich hingegen den sozialen Prozess zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden. Das heißt, was passiert eigentlich zwischen den beiden Parteien und in der Interaktion zwischen den beiden Parteien? Und da muss man klar sagen: Es gibt Führung bzw. Führungsmodelle, die mehr Flexibilität zulassen als andere. Zu nennen ist hier beispielsweise die Idee der partizipativen Führung. Das ist zwar ein komplexer Prozess, der aber trotzdem zu mehr Flexibilität führen kann und zudem dafür sorgt, dass die verschiedenen Kompetenzen eines Teams sehr gut genutzt werden. Die Reinform der geteilten Führung gibt es tatsächlich selten in Organisationen, einfach weil die meisten Organisationen und insbesondere auch die in der Sozialwirtschaft am Ende doch eine klar formulierte formale Machtverteilung haben. Nichtsdestotrotz kann man, auch wenn es eine klare Machtverteilung gibt, partizipative Elemente in Führungssituationen einfügen. Beispielsweise indem alle Mitarbeitende ihre Perspektive beitragen können oder die Sichtweise der Führungskraft noch mal zur Diskussion gestellt wird.

Auch wenn die Reinform in der Praxis sehr selten ist: Würden Sie sagen, dass es zuletzt einen Trend hin zu mehr Partizipation in der Führung gibt?

Prof. Dr. Silja Hartmann: Zumindest sehen viele Organisationen mittlerweile die Vorteile von partizipativen Führungsmodellen, auch wenn nicht alle Aspekte bereits in der Praxis umgesetzt werden. Je nach Geschäftsbereich oder Geschäftsmodellen kommen die Unternehmen natürlich von einer anderen Startposition. Im Gesundheitsbereich beispielsweise sind klassischerweise sehr starke Hierarchien etabliert und insofern wirken die Schritte, die hin zu mehr Partizipation gemacht werden, dann vielleicht eher kleiner, können aber trotzdem sehr effektiv und erfolgreich sein. Nicht immer geht es darum Führungsverantwortung an Mitarbeitende weiterzugeben; es kann auch darum gehen, Führungsverantwortung zwischen verschiedenen Führungskräften aufzuteilen. Klassischerweise wird in vielen Unternehmen davon ausgegangen, dass man als Führungskraft einen Vollzeitjob macht. Das muss aber nicht so sein, wenn man sich überlegt, dass zwei verschiedenen Personen auch mit Hilfe von flexiblen Arbeitszeitmodellen die Führungsverantwortung unter sich aufteilen können. Wir beobachten allgemein, dass der Stereotyp einer Führungskraft immer mehr aufgebrochen wird und Führung mittlerweile breiter und diverser betrachtet wird. So geht es heute beispielweise darum die individuellen Bedürfnisse von Mitarbeitenden zu sehen. Es geht darum, dass man zuhört und Inspiration gibt. In der Forschung werden deshalb viel stärker Verhaltensweisen bzw. unterschiedliche Führungsstile betrachtet und untersucht, welche Verhaltensweisen wann zu welchem Ergebnis führen.

Dieser Blick ist deshalb auch besonders wichtig, weil unsere Arbeitsumgebung immer volatiler und disruptiver wird. Wie können wir mit diesen kontinuierlichen und teilweise sehr schnellen Wandelprozessen gut umgehen? Und was kann getan werden, damit eine Organisation bei disruptiven Veränderungen handlungsfähig bleibt und die Mitarbeitenden sowie Führungskräfte psychisch und physisch gesund bleiben. Flexibilität, Agilität und Resilienz sind hier wichtige Faktoren, die eng zusammenhängen.

Wie definieren Sie Resilienz?

Prof. Dr. Silja Hartmann: Bei Resilienz im Arbeitsplatzkontext geht es darum, wie einzelne Mitarbeitende oder auch Gruppen und Teams mit einschneidenden, widrigen Situationen so umgehen können, dass sie positiv aus der Situation hervorgehen. Häufig wird der Begriff der Resilienz auch mit Widerstandskraft beschrieben – das ist in meinen Augen eigentlich keine optimale Beschreibung, weil Widerstandskraft impliziert, dass Situationen einfach an mir abprallen. Bei der Resilienz geht es aber durchaus darum, dass diese Dinge mich auch belasten können. Die Frage ist dann aber, welche Prozesse und Kapazitäten mir dabei helfen, aus diesem Tal wieder positiv hervorzukommen, zu lernen und optimalerweise sogar zu wachsen.

Welche Bedingungen braucht es, damit Mitarbeitende, Führungskräfte und Teams Resilienz entwickeln?

Prof. Dr. Silja Hartmann: Resilienz ist keine Superpower, die man hat oder nicht hat, sondern es gibt durchaus verschiedene Elemente, die wir stärken können. Wichtig ist, erstmal zu verstehen, dass die Resilienz einer Gruppe oder eines Teams nicht die Summe der einzelnen Resilienzkapazitäten der Teammitglieder ist. Mitarbeitende und Führungskräfte können individuell sehr resilient sein und interessanterweise kann es trotzdem sein, dass das Team als Ganzes nicht sehr resilient ist. Dann stimmen häufig die sozialen Strukturen einer Gruppe nicht, so dass die einzelnen Personen sehr stark auf sich selbst schauen, um ihre eigenen Ressourcen zu schützen. Umgekehrt kann es aber auch sein, dass die einzelnen Personen sich gar nicht unbedingt als sehr resilient einschätzen, ihr Team aber durchaus als resilient empfinden.

Diese Teams sind in der Regel so gestaltet, dass sie den einzelnen Mitgliedern ein klares Sicherheitsnetz aufbauen und als sozialer Ankerpunkt fungieren. In schwierigen Situationen ist klar: Wir gehen da zusammen als Team durch. Situationen können verarbeitet werden, man kann im Gespräch noch mal reflektieren, man kriegt emotionalen Rückhalt und Trost. Man wird beraten und bekommt Informationen, die man ggf. zur Bewältigung benötigt. Und es gibt die Möglichkeit, dass man Aufgaben oder eben auch Verantwortung teilt.

Was bedeutet das für Führungskräfte?

Prof. Dr. Silja Hartmann: Gerade Führungskräfte haben hier eine besondere Rolle. Erstmal ist die Übernahme einer Führungsrolle als solches schon ein einschneidendes Erlebnis. Es kommen viele Aufgaben auf einen zu, die man vorher so noch nicht hatte und man muss mit sehr vielen neuen Aspekten umgehen. Das erfordert bereits Resilienz. Zudem haben Führungskräfte, gerade wenn es zu schwierigen Situationen und disruptiven Schocks von außen kommt, zum einen die Verantwortung für die Mitarbeitenden und den Erfolg einer Organisation. Zum anderen sind sie nicht außen vor und damit auch selbst von der Situation betroffen.

Ich habe eben beschrieben, wie wichtig soziale Unterstützung für die Resilienz ist. Das gilt auch für Führungskräfte. Die Frage ist, wie ein stabiles Netzwerk aufgebaut werden kann, aus dem eine Führungskraft in entsprechenden Situationen diese soziale Unterstützung erhalten kann. Denkbar wäre beispielsweise der Support anderer Personen in ähnlichen Rollen, mit denen ich mich austauschen kann. Je nach Größe der Organisation können das Personen innerhalb, aber auch außerhalb der eigenen Organisation sein. Und da sind wir wieder beim Thema Partizipation und partizipative Führung. Denn in dem Moment, in dem ich mehr Verantwortung teile, habe ich eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass ich soziale Unterstützung erfahre. Partizipative Führung kann Führungskräften also sehr helfen und ihre Resilienz stärken, aber es erfordert auch eine gewisse Authentizität und Offenheit, weil ich das Team an meiner Gefühlswelt und meiner aktuellen Situation teilhaben lasse.

Die Unternehmenskultur spielt bei der Resilienz also eine zentrale Rolle?

Prof. Dr. Silja Hartmann: Mitarbeitende und Führungskräfte sind ja nicht autark, sondern immer eingebunden – in eine Unternehmensstruktur und in eine Unternehmenskultur. Mein Kollege Matthias Weiß von der Zeppelin Universität hat das in einem unser gemeinsamen Beiträge sehr schön formuliert und Resilienz mit einem Flummi verglichen. So kann man allen Mitarbeitenden bis zu einem gewissen Grad die Eigenschaften eines Flummis antrainieren. Wenn man allerdings einen Flummi in einen Sandkasten wirft, dann wird dieser Flummi trotzdem nicht wieder zurückprallen. Und so kann man sich das auch bei Organisationen vorstellen. Es gibt Organisationen, die Resilienz fordern und Organisationen, die Resilienz fördern. Und wenn Organisationen ständig stark an die Belastungsgrenzen gehen, dann fordert das enorme Resilienz von den Mitarbeitenden. Andersherum gibt es aber natürlich auch Strukturen und Kultur, die Resilienz fördern: ein positiver Umgang mit Emotionen, soziale Unterstützung und eine Kultur der Verlässlichkeit und des Lernens sind hier wichtige Faktoren. In der Vorbereitung und Umsetzung spielen Führungskräfte eine ganz wesentliche Rolle. Sie sind Motor für die Kultur, die am Arbeitsplatz und in einem bestimmten Team herrscht. Schafft eine Organisation eine Kultur, die Resilienz langfristig nährt, erhöht das deutlich die Wahrscheinlichkeit, dass eine Organisation, ihre Mitarbeitenden und Führungskräfte positiv mit schwierigen Situationen umgehen können.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Hartmann!

Interview: Katharina Ommerborn/Saskia Strangfeld

Ulrike Goletz

Portrait von Ulrike Goletz, Personal- und Organisationsberaterin der contec

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