Personalbemessungsverfahren – Veränderung jetzt vorbereiten

Personalbemessungsverfahren Besprechung Team
Dienstag, 31 August 2021 10:50

Der Abschlussbericht zum einheitlichen Personalbemessungsverfahren in der stationären Pflege liegt seit Mitte 2020 vor – mit der Empfehlung für mehr Personal und für einen einrichtungsindividuellen, bedarfsorientierten Personal- und Qualifikationsmix. Der Gesetzgeber hat das Verfahren mit dem GVWG beschlossen. Gemäß der Roadmap des BMG erproben Einrichtungen nun in Modellvorhaben die Personalausstattung auf Basis der neuen Berechnung. Die Zeit bis Juli 2023, bis zur zweiten Personalausbaustufe, sollten Sie nutzen, um sich vorzubereiten – auch mit Personal- und Organisationsentwicklung.

1. Pflegequalität und gute Arbeitsbedingungen sichern

Die Idee zu einem bundeseinheitlichen Personalbemessungsverfahren ist nicht neu. Die tatsächliche Umsetzung ist aber eine Innovation. Da bisher mehrere Versuche zur Einführung eines einheitlichen Personalbemessungsverfahrens scheiterten, wurde im PSG II der Auftrag zur Entwicklung und Erprobung eines wissenschaftlich fundierten Verfahrens „nach qualitativen und quantitativen Maßstäben“ verankert.

Die Herausforderung besteht darin, die Personalausstattung so zu regeln, dass eine hohe Pflegequalität bei guten Arbeitsbedingungen möglich ist. Denn die bisher geltenden, unterschiedlichen Personalschlüssel der Bundesländer basieren auf keinem objektiv ermittelten Bedarf und gelten durchgängig als zu niedrig.

Das mit der Verfahrensentwicklung beauftragte Team um Prof. Heinz Rothgang hatte zunächst einen Interventionskatalog (IST) aufgestellt und pflegefachliche Anforderungen und bedarfsgerechte Qualifikationsniveaus definiert (SOLL). Messungen in Pflegeheimen machten dann einen Abgleich von SOLL und IST möglich, um fachlich notwendige Zu- und Abschläge im Vergleich zur heutigen Situation zu ermitteln.

Wichtige Dokumente zum Nachlesen:

2. Höherer Personalbedarf, niedrigerer Fachkraftanteil, qualifikationsadäquater Einsatz

Das Team um Prof. Rothgang konnte den höheren Personalbedarf in der stationären Altenpflege empirisch untermauern. Dieser besteht demnach für alle Qualifikationsniveaus in der Pflege, besonders aber für Assistenz- und Hilfskräfte. Die größte Neuerung des Personalbemessungsverfahrens ist die einrichtungsindividuelle Personalbedarfsermittlung. Der Personal- und Qualifikationsmix in den Einrichtungen richtet sich nach den Bewohnerstrukturen bzw. dem Pflegebedarf der Bewohnenden. So ergeben sich heimindividuelle Fachkraftquoten.

Die Ergebnisse waren nicht unumstritten. Ein Kritikpunkt war die neue Aufgabenverteilung verbunden mit der Annahme, dass künftig vermehrt Assistenz- und Hilfskräfte die direkte Pflege und Fachkräfte vor allem Aufgaben bei der Planung, Anleitung und Beaufsichtigung der Pflege übernehmen.

Doch es ist gerade der qualifikationsadäquate Einsatz von Pflegenden, der zu einer insgesamt qualitativ guten Versorgung der Bewohnenden führt. Auch wenn Pflegehilfs- und -assistenzkräfte einen (großen) Teil der direkten Versorgung übernehmen, heißt das nicht, dass der Pflegeprozess ohne examiniertes Personal abläuft. Insgesamt müssen Pflegeteams vor allem gut koordiniert handeln, um die bestmögliche Versorgung zu bieten.

3. Änderungen vorbereiten: Was Einrichtungen jetzt tun können

Die Erfahrungen aus den Modell-Einrichtungen werden viele Fragen und To-dos mit Blick auf die Anwendung des Personalbemessungsverfahrens konkretisieren. Einrichtungen der stationären Langzeitpflege können sich aber schon jetzt vorbereiten und die Weichen stellen, fachlich, organisatorisch und planerisch. Nutzen Sie die Zeit bis zum Start der zweiten Personalausbaustufe ab Juli 2023 – auch für die notwendige Personal- und Organisationsentwicklung.

Denn wenn sich durch das neue Personalbemessungsverfahren am Ende eine bessere Personalausstattung für Einrichtungen ergibt, bedeutet das noch nicht automatisch eine bessere Arbeits- und Pflegesituation. Es kommt vor allem darauf an, ein mögliches Mehr an Personal zielführend einsetzen zu können. Dafür bedarf es eines größeren Veränderungsprozesses – und einer Veränderung des Mindsets von Führungskräften und Mitarbeitenden.

Neue Führungsstrukturen legen den Grundstein

Die Veränderung beginnt bei der Führung. Diese muss sich jetzt darauf ausrichten, eine komplexe Antwort auf eine immer komplexer werdende Pflege geben zu können – und die Mitarbeitenden dabei mitzunehmen.

Dies lässt sich, so unser Ansatz, mit agilen Management- bzw. Expertenteams in der Führung erreichen, in denen die Kompetenzen und Aufgaben neu verteilt werden. Das Ziel ist eine agile Steuerung der Pflegeprozesse und des Personals, die gut auf Veränderungen reagieren kann. So gelingt eine Versorgungsplanung genau entlang der individuellen Versorgungssituation.

Im erweiterten Management-Team verteilen sich die Führungsaufgaben auf drei Rollen – mit Expert*innen für das übergreifende Management, vor allem im Sinne der Personalführung, für das Management des Pflegeprozesses und für das Management der Personalentwicklung. Die neue Gestaltung von Führung im Team, mit den erweiterten Rollen, bringt dabei die Chance mit sich, attraktive Stellen für akademisch ausgebildete Pflege-Expert*innen zu schaffen bzw. diese entsprechend ihrer Qualifikation einzusetzen.

  • Die erstgenannte Rolle liegt am nächsten bei der aktuellen Pflegedienstleitung und umfasst klassische Managementaufgaben. Dabei liegt der Fokus auf einem partizipativen Ansatz der Führung. Kommunikation spielt eine zentrale Rolle.
  • Im Pflegeprozessmanagement geht es darum, sich die Pflegeprozesse stetig anzuschauen, die Plausibilität zu prüfen und im Team zu evaluieren sowie Prozesse anzupassen – im Sinne der bestmöglichen Versorgung. Pflegeplanungen anhand der konkreten Pflegebedarfe zu schreiben und die einzelnen Interventionen an die Qualifikationsniveaus anzupassen, gehört ebenfalls dazu. Dabei können bestenfalls laufend Neuerungen und wissenschaftliche Erkenntnisse direkt praktisch umgesetzt werden.
  • Im Bereich der Personalentwicklung für das Pflegeteam geht es darum, dass eine entsprechend ausgebildete Person den Blick auf die Kompetenzen im Team richten kann – u. a. durch die direkte Begleitung bei der (behandlungs)pflegerischen Versorgung der Bewohnenden. Welche Qualifikationen kommen wo zum Einsatz? Wer hat und wer braucht welche Qualifikation bzw. welche Schulungen? Was ergibt sich aus Änderungen und Anpassungen im Pflegeprozess oder in den Bedarfen von Pflegebedürftigen für das Versorgungsteam? Wie können Änderungen dem Team vermittelt werden? Ziel ist es also, die Mitarbeitenden zu befähigen.

Die Neuausrichtung der Führung steht für uns deshalb am Anfang, weil für das Gelingen des Veränderungsprozesses das Mitnehmen der Mitarbeitenden und gute Kommunikation die Grundlage sind.

Kompetenzorientierter Einsatz als Maßstab

In der Umsetzung der Rothgang-Empfehlungen ergibt sich auch eine andere Arbeitsweise bzw. ein anderes Bewusstsein für die einzelnen Pflegehandlungen und die Organisation dieser Handlungen. Mit dem Ziel der bestmöglichen Versorgung empfehlen wir die – stetige – genaue Betrachtung der beiden Säulen „Bewohnende“ und „Personal“:

  • Einerseits geht es darum, die Versorgungssituation anhand der Bedarfe der Bewohnenden und der Planungsmöglichkeiten der praktischen Pflege laufend zu evaluieren.
  • Auf der anderen Seite sollten Sie die Kompetenzen der Mitarbeitenden immer wieder evaluieren, mit Fortbildungen individuell entwickeln sowie den qualifikationsadäquaten Einsatz der Mitarbeitenden überprüfen.

So lässt sich die Versorgungsqualität auch bei einem vermehrten Einsatz von Hilfs- und Assistenzkräften gewährleisten. Dabei bietet es sich z. B. an, explizite Kompetenzprofile in Verbindung mit entsprechenden Interventionsprofilen der Bewohnenden zu nutzen.

→ Machen Sie sich hier auch das Handbuch zum Interventionskatalog des Rothgang-Teams zunutze, in dem direkte und indirekte pflegerische Interventionen erfasst und genau beschrieben sind.

Die Arbeit anders organisieren

Der kompetenzbasierte Einsatz der Mitarbeitenden bringt auch den Bedarf – oder das Potenzial – für andere, und für anders organisierte, Abläufe in Einrichtungen mit sich. So können z. B. Fachkräfte nicht mehr nach dem einfachen ,Gießkannenprinzip‘ auf die anfallenden Aufgaben verteilt oder die Arbeit nicht mehr losgelöst von den Bedarfen der Pflegebedürftigen aufgeteilt werden.

Orientiert an der Organisationsweise ambulanter Pflege kann es sinnvoll sein, Bewohnende und Aufgaben ,virtuellen‘ Touren zuzuordnen, die jeweils mögliche Schichtbesetzungen berücksichtigen. Dieser Ansatz der stationären Tourenplanung hat zum Ziel, dass die richtigen Personen zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind, um dort eine jeweils passgenaue pflegerische Intervention zu leisten. Inwieweit die Aufteilung in Wohnbereiche sich künftig noch bewährt, können Einrichtungen in diesem Zusammenhang kritisch hinterfragen – alternativ denkbar sind z. B. am Versorgungsbedarf orientierte Bewohnergruppen.

4. Personalbemessungsverfahren – Herausforderungen & Chancen

Ein neuer Ansatz der Führung und ein qualifikationsadäquater Einsatz des für die Einrichtung bemessenen Personals können die Pflegequalität nachhaltig sichern bzw. steigern. Mit dem kompetenzorientierten Einsatz Ihrer Mitarbeitenden können Sie auf lange Sicht auch

  • die Arbeitszufriedenheit insgesamt steigern
  • Fehlbelastungen reduzieren und den Krankenstand vermindern
  • längere Verbleibzeiten im Beruf und geringere Vakanzen erreichen
  • Leiharbeit reduzieren

Änderungen eines gewohnten und bestehenden Systems kommen jedoch zumeist auch mit Sorgen und Unzufriedenheiten daher – gerade bei Menschen, die schon lange in diesem System arbeiten. Daher geht es auch darum, alle Mitarbeitenden mitzunehmen und von den Chancen des laufenden Veränderungsprozesses zu überzeugen. Der Prozess kann dabei u. a. durch Coachings gestützt und begleitet werden.

Wir bleiben dran!
Wir setzen uns im Kontext des Personalbemessungsverfahrens und der laufenden Umsetzung intensiv mit Konzepten der Führung, begleitenden Maßnahmen der Personal- und Organisationsentwicklung, aber auch mit neuen Wegen der Personalgewinnung (z. B. im Netzwerk-Ansatz für die Gewinnung von Pflegenachwuchs oder auch Quereinsteigenden) auseinander. Denn ein Mehr an Personal müssen Einrichtungen erst einmal finden und gewinnen.

Wir werden diesen Beitrag künftig aktualisieren und erweitern und das Thema auch in unserem Podcast mit Expert*innen aufgreifen. Wir freuen uns zudem jederzeit über Ihre Fragen, Anregungen und Erfahrungen!

Text: Friederike Ibing/Linda Englisch
Titelbild: © Prostock-studio/Adobe Stock

Alexander Wilker

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