Verfahrenslotsen nach SGB VIII: Was müssen Jugendämter bei der Einführung beachten?

Verfahrenslotsen nach SGB VIII
Dienstag, 29 August 2023 12:48

Ab dem 1. Januar 2024 greift die zweite Stufe des Reformprozesses des SGB VIII hin zur inklusiven Kinder- und Jugendhilfe: Dies bedeutet u.a., dass die Verfahrenslotsen und Verfahrenslotsinnen in den Jugendämtern ihre Arbeit entsprechend § 10b SGB VIII des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes zur Unterstützung des Übergangs aufnehmen sollen. Für die öffentlichen Träger ergeben sich daraus konkrete Handlungsbedarfe, um die zweite Reformstufe und die damit verbundene Rolle der Verfahrenslots*innen vorzubereiten. Wir geben Ihnen einen Überblick, was aus unserer Perspektive bei der Rolleneinführung zu beachten ist.

Verfahrenslotsen in Jugendämtern: Zentral für die inklusive Lösung

Mit der Überführung von Kindern mit (drohender) geistiger und körperlicher Behinderung ins SGB VIII erhalten die Jugendämter einen neuen, erweiterten Verantwortungsbereich. Um diesen entsprechend erfüllen und ausüben zu können, wurde für die Übergangszeit die Rolle der Verfahrenslotsinnen und Verfahrenslotsen nach SGB VIII neu geschaffen. In Absatz 1 und 2 des § 10b SGB VIII wird festgelegt, dass die Verfahrenslotsen und -lotsinnen in Jugendämtern insbesondere zwei Aufgaben übernehmen:

  1. Als Ansprechperson begleiten Verfahrenslots*innen auf Wunsch Eltern und deren Kinder vom Antrag bis zur Leistungsgewährung durch das gesamte Verfahren und unterstützen diese bei der Inanspruchnahme ihrer Rechte.
  2. Als personelle und fachliche Ressource unterstützen Verfahrenslots*innen die öffentlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe bei der Bewältigung der (verwaltungstechnischen) Aufgabe, die alten Zuständigkeiten zu einem neuen inklusiven Verantwortungsbereich zusammenzuführen.

Die Verfahrenslotsen und Verfahrenslotsinnen sind also zentrale Akteur*innen der inklusiven Lösung und direkte Schnittstelle zwischen Hilfesuchenden und Behörde. Die personelle Besetzung dieser anspruchsvollen Rolle regeln die §§ 72 und 72a SGB VIII. Die Jugendämter müssen also sicherstellen, dass die Verfahrenslotsinnen und Verfahrenslotsen nach SGB VIII „sich für die jeweilige Aufgabe nach ihrer Persönlichkeit eignen und eine dieser Aufgabe entsprechende Ausbildung erhalten haben (Fachkräfte) oder auf Grund besonderer Erfahrungen in der sozialen Arbeit in der Lage sind, die Aufgabe zu erfüllen“ (§ 72 SGB VIII). Darüber hinaus braucht es weitere Fähigkeiten und Fertigkeiten, die sich gut mittels eines Kompetenzprofils erheben und damit im Besetzungsverfahren nachprüfen lassen. Ein solches exemplarisches Kompetenzprofil zeigt die folgende Abbildung.

Verfahrenslots*innen als Anlass für Change-Prozesse in Jugendämtern

Die Einführung und Ansiedlung der Verfahrenslotsinnen und Verfahrenslotsen nach SGB VIII bedarf angesichts ihrer Stellung als zentrale Akteur*innen der inklusiven Lösung großer Umsicht und geschieht idealerweise eingebettet in einen umfassenden Change-Prozess, da dieser viele Faktoren und Parameter mit sich bringt, die für einen solch großen Wandel von Vorteil sind. Dazu gehören bspw. ihre mittel- bis langfristige Dauer sowie ihre gute Anpassungsfähigkeit auf äußere Rahmenbedingungen und Veränderungen.

Exkurs: Welche Parameter sollte ein guter Organisationsentwicklungsprozess umfassen?

  • Die Verantwortung ist klar verortet und in verschiedenen Bereichen angesiedelt, z. B. im ASD, JHD, jemand aus dem Bereich der Eingliederungshilfe und punktuell dem Personalrat. Im Idealfall gibt es eine Projektgruppe mit ausgewählten Entscheidungsträger*innen.
  • Es wird im Vorfeld ein Projektplan erarbeitet, der festlegt, welche Themen und Fragestellungen im Prozess bis wann erarbeitet werden sollen
  • Der Prozess wird durch mehrere zentrale Arbeitstage begleitet, die im Vorfeld terminiert und geblockt werden, um zu verhindern, dass die Organisationsentwicklung im Tagesgeschäft untergeht

Lesetipp: Warum ein Change-Prozess auch für freie Träger sinnvoll ist, erfahren Sie in unserem Artikel: „Inklusive Kinder- und Jugendhilfe: mit einem Change-Prozess die Weichen für die Zukunft stellen“

Prozessgesteuerte Einführung der Verfahrenslotsen nach SGB VIII: Ein exemplarischer Projektplan

Wie die oben beschriebene Theorie eines guten Organisationsentwicklungsprozess konkret in der Praxis aussehen kann, erläutern wir Ihnen im Folgenden entlang eines exemplarischen Projektplans.

1. Kick-Off: Projektplanung

Zum Projektstart gilt es zum einen, die Erwartungen sowie Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zu klären. Zum anderen sollte eine erste thematische Annäherung an Rolle, Aufgaben, Rechte und Pflichten der Verfahrenslotsinnen und Verfahrenslotsen nach SGB VIII erfolgen. Hierbei ist es wichtig, Chancen und Risiken sowie Stärken und Schwächen zu betrachten, um eine sichere Basis für den Prozess zu schaffen.

2. Workshoptage 1 & 2: Strukturelle Einbindung

Die strukturelle Einbindung der Verfahrenslotsen und -lotsinnen kann an zwei offiziellen Workshoptagen diskutiert und erarbeitet werden. Wesentlich sind dabei die Abgrenzung zu anderen Beratungsangeboten aus den SGB VIII und IX, die Zusammenarbeit zwischen Verfahrenslots*innen zu Kooperationspartner*innen und Leistungsberechtigten, das Verhältnis zu den leistungsgewährenden Trägern sowie die Definition der Aufgaben. Darüber hinaus sollten die Eingliederungsmöglichkeiten der Verfahrenslots*innen besprochen werden. Hierfür kann auch auf Erkenntnisse aus bereits laufenden Modellprojekten zurückgegriffen werden, wie es sie z. B. in den Bundesländern Bayern und NRW zahlreich gibt. Um unnötige Arbeit oder Doppelstrukturen zu vermeiden, ist aber auch der Blick nach innen von großer Wichtigkeit:

  • Gibt es bereits Strukturen oder Ansätze zur Umsetzung der Inklusiven Lösung?
  • Wie inklusiv arbeitet das Jugendamt bereits jetzt?
  • An welchen Stellen im Organigramm kann die Rolle Verfahrenslots*in angegliedert werden und welche Argumente sprechen für und gegen diese Stellen?

3. Workshoptag 3: Einarbeitungskonzept

Damit die Verfahrenslotsin bzw. der Verfahrenslotse motiviert in die neue Tätigkeit starten und sozial sowie fachlich in das entsprechende Jugendamt integriert werden kann, braucht es eine systematische Einarbeitung. Um diese zu gewährleisten, sollte am dritten offiziellen Workshoptag ein sauber erarbeiteter Einarbeitungsplan erstellt werden. Einarbeitungspläne, die z. B. schon für den Allgemeinen Sozialen Dienst oder andere angrenzende Bereiche vorliegen, können auf die Eignung für die Einarbeitung der neuen Rolle hin überprüft, ergänzt und angepasst werden. Da es sich mit der Eingliederung der Verfahrenslots*innen um einen neuen Dienst handelt, sind über den Einarbeitungsplan hinaus zudem die Identifikation wichtiger Ansprechpersonen und Kooperationspartner*innen und das Kennenlernen der internen sowie externen Versorgungsstrukturen für die Anfangszeit zu berücksichtigen.

4. Workshoptag 4: Öffentlichkeitsarbeit

Abhängig von der Größe des Zuständigkeitsbereichs eines Jugendamts und dem Wunsch nach Vernetzung können Maßnahmen zur Öffentlichkeitsarbeit sinnvoll sein. In einem letzten Workshoptag, der auch als Projektabschluss und -reflexion dient, können hierfür sowohl die Grundlagen definiert als auch die nötigen Maßnahmen abgeleitet werden. Die inklusive Lösung betrifft viele Bereiche und daraus resultieren viele Schnittstellen, daher ist es sinnvoll das neue Angebot der Verfahrenslots*innen transparent und öffentlichkeitswirksam insbesondere an die Zielgruppe Eltern bzw. Personensorgeberechtigte und Kinder sowie Kooperationspartner*in zu vermitteln.

Die Einführung und Integration der Verfahrenslots*innen in die bestehenden Strukturen der öffentlichen Träger ist ein herausfordernder und wichtiger Schritt hin zur inklusiven Kinder- und Jugendhilfe. Dieser gelingt am besten mit einem umfassenden und klar definierten Change-Prozess. Hierbei sollte ähnlich wie anhand des exemplarischen Prozesses gezeigt mit einem detaillierten und strukturierten Projektplan gearbeitet werden.

Unsere Expert*innen unterstützen Sie gern bei Ihrem Organisationsentwicklungsprozess! Sichern Sie sich auch jetzt noch einen Platz in unserem Webinar zum Einführung der Verfahrenslots*innen.  Alle Infos zur Veranstaltung und zur Anmeldung finden Sie hier.

Text: Claudia Langholz/Saskia Strangfeld
© Kostiantyn

Claudia Langholz

Portrait von Claudia Langholz, Managementberaterin, der contec

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