Gesundheitsförderung und Prävention als Wettbewerbsvorteil nutzen

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Montag, 24 August 2020 13:07

Innovation V. Wie sind Sie in den Bereichen Gesundheitsförderung und Prävention aufgestellt? Pflegen Sie in Ihrem Unternehmen bereits eine „Culture of Health“? Ob Pflege, Krankenhaus-Sektor oder Eingliederungshilfe: Unternehmen der Sozialwirtschaft sollten bei diesem Thema Vorreiter sein. Warum eine Gesundheitskultur für Ihr Unternehmen viel mehr als nur ,gute PR‘ ist und warum auch Umweltschutz dazugehört, erfahren Sie in diesem Beitrag. Wir zeigen Best Practice Beispiele und geben Tipps, wie Sie in Ihrem Unternehmen jetzt starten können.

Deutschland hat eine stolze Tradition der betrieblichen Gesundheitspolitik. Arbeitsschutz und betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) sind gesetzlich verankert. Unternehmen werden also in die Pflicht genommen, die Fürsorge für ihre Beschäftigten wahrzunehmen. Leider gehen noch zu wenige Unternehmen zur Kür über und verstehen Gesundheitsförderung und Prävention auch als entscheidenden Wettbewerbsvorteil.

Auf der anderen Seite des Atlantiks erlebt die betriebliche Gesundheitsförderung und Prävention gerade Aufwind als ein wichtiger Baustein zur Lösung der amerikanischen Gesundheitskrise. So lehrt die Harvard Universität seit kurzem die „Culture of Health“, am besten übersetzbar mit „Gesundheitskultur“. Unternehmen, die eine Gesundheitskultur pflegen, geben der Gesundheit und dem Wohlbefinden ihrer Beschäftigten, aber auch ihrer Kundschaft, hohe Priorität. Und nicht nur das: Auch die Menschen vor Ort in den Gemeinden sowie die Mitmenschen im Gesamten stehen hierbei ganz oben. Außerdem verschreiben die Unternehmen sich dem Umweltschutz.

Gesundheitsförderung: Gut für die Gesellschaft, gut fürs Unternehmen

Der gesellschaftliche Nutzen des ganzheitlichen Ansatzes einer „Culture of Health“ steht klar im Fokus. Er betont aber auch mit klaren Botschaften die Vorteile für Unternehmen:

  • Höhere Produktivität durch Mitarbeitende, die sich wohlfühlen
  • Niedrigere Kosten durch weniger krankheitsbedingte Ausfälle
  • Höhere Attraktivität auf dem umkämpften Markt für Fachkräfte
  • Erschließung neuer Marktchancen durch Fokussierung des Wohlbefindens der Klient*innen
  • Und nicht zuletzt: Imagegewinn!

Gerade Unternehmen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft können hierzulande mit einer „Culture of Health“ an Authentizität gewinnen. Schließlich ist die Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden der Menschen, zumindest im weiteren Sinne, auch das Ziel der Branche und ihrer Unternehmen.

Wie erreicht man eine Gesundheitskultur oder „Culture of Health“?

Den perfekten Einstieg in die Gesundheitskultur gibt es nicht. Entscheidend ist, dass Sie sich auf den Weg machen und sich immer wieder neu orientieren. Dabei sollten Sie die Perspektive der Betroffenen einnehmen und in den Prozess einbinden. Fahren Sie Ihre Antennen aus und nehmen Sie die Impulse und Bedürfnisse Ihrer Beschäftigten und Ihrer Kundschaft auf. Besonders effektiv sind Maßnahmen, mit denen sich die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Betroffenen verbessern lassen. Das funktioniert in der Regel besser, als beim Verhalten Einzelner anzusetzen. Zwei innovative Ansätze wollen wir im Folgenden als Beispiele vorstellen:

» Best Practice: „Psychosomatische Sprechstunde im Betrieb“

Die „Psychosomatische Sprechstunde im Betrieb“ (PSIB) ist ein gutes Beispiel für eine sogenannte verhältnispräventive Maßnahme für die Gesundheit der Beschäftigten (d. h. eine Maßnahme, die bei den Arbeitsbedingungen ansetzt). Die Sprechstunde ist eine betriebsnahe Anlaufstelle zur psychologischen Beratung und Kurzintervention. Die Beschäftigten der teilnehmenden Unternehmen können das Angebot anonym, kurzfristig und für sie kostenfrei aufsuchen. Unser Forschungspartner, das IEGUS – Institut für europäische Gesundheits- und Sozialwirtschaft, hat ein solches Angebot im Auftrag der „Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin“ evaluiert. Die interviewten Nutzer*innen des Angebots fanden bereits die erste Sitzung subjektiv stabilisierend. Das Angebot verstanden sie dabei als schnelle Hilfe, auf die sie in der regulären psychotherapeutischen Versorgung lange warten müssten.

Allein die Bekanntmachung des Angebots in einem Unternehmen kann den Beschäftigten das wichtige Signal senden, dass ihre psychische Gesundheit ernstgenommen wird. Das kann bereits eine kulturelle Veränderung auslösen. Für Unternehmen ist das pauschale Angebot relativ kostengünstig und lässt sich flexibel im betrieblichen Gesundheitsmanagement verankern. Besonders gute Erfolge können Unternehmen erzielen, wenn sie anonymisierte Rückmeldungen über Belastungsfaktoren der Beschäftigten aus der PSIB erhalten und diese nutzen, um Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen gesundheitsförderlicher zu gestalten.

Für Unternehmen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft sind solche Modelle nicht nur für das eigene betriebliche Gesundheitsmanagement interessant. Sie können sich auch für solche betrieblich finanzierten Angebote öffnen und neue Geschäftsfelder erschließen, beispielsweise eben durch die Bereitstellung einer PSIB. Andere Beispiele wären betriebliche Sozial- und Suchtberatung oder Führungskräftetrainings.

» Best Practice: „campus agil!“

Gerade für Kleinst-, Klein- und mittlere Unternehmen kann es attraktiv sein, sich gemeinsam auf den Weg zu machen und einander Orientierung zu geben. Auf dem GesundheitsCampus Bochum haben sich Betriebe und Institutionen, darunter contec, unter dem Titel „campus agil!“ zusammengetan. Die Teilnehmenden wollen voneinander lernen, Angebote füreinander öffnen und gemeinsam neue Angebote für die Beschäftigten entwickeln.

Das Netzwerk hat sich gerade in der Corona-Pandemie bewährt. Führungskräfte konnten ihre Fragen und Erfahrungen in der Peer-Gruppe reflektieren. Das gab ihnen Sicherheit und auch neue Impulse. Als die Beschäftigten Anfang März mehrheitlich ins Homeoffice wechselten, bot sich auch die Gelegenheit, in Kooperation mit Krankenkassen kurzfristig digitale bzw. hybride Angebote der Gesundheitsförderung zu entwickeln (z. B. ein Online-Angebot zur Stressprävention oder kurze Workouts).

Sozialwirtschaft: Fürsorge weiterdenken, Förderung nutzen

Gerade in Einrichtungen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft steht die Fürsorge für die Patient*innen, Klient*innen und Bewohner*innen im Vordergrund. Mehr als nur das Nötigste für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen zu tun, liegt hier nahe.

So wird z. B. im Rahmen des Präventionsgesetzes die gesundheitliche Prävention für Bewohner*innen der stationären Altenpflege mit Maßnahmen und Modellprojekten gefördert (§ 5 SGB XI). Über einen strukturierten Gesundheitsförderungsprozess, an dem alle Beschäftigtengruppen sowie die Bewohner*innen mitwirken, werden hierbei bedarfsgerechte Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensverhältnisse in den Einrichtungen ermittelt und umgesetzt.

Die Einrichtungen gewinnen dadurch an Image und Expertise. Das Vorgehen schafft insgesamt gesundheitsfördernde Strukturen, die sich in der Wirkung nicht auf die Bewohner*innen beschränken. Maßnahmen in diesem Kontext schaffen auch ein gemeinsames Bewusstsein, wie Prävention gestaltet werden kann. Unser Rat: Nutzen Sie die angebotenen Förderungen, um gemeinsam mit Ihren Beschäftigten und den Bewohner*innen Ihrer Pflegeeinrichtung die Lebens- und auch Arbeitsbedingungen für alle zu verbessern.

Gesundheitskultur ist auch Umweltschutz

Die Gesundheits- und Sozialwirtschaft mag nicht zu den großen Umweltsündern gehören. Aber auch die Dienstleistenden am Menschen können einen wertvollen Beitrag zum Natur- und Umweltschutz leisten. Dazu zwei Beispiele:

  • Wie wäre es mit Elektromobilität für Ihren ambulanten Pflegedienst?
  • Nutzen Sie schon gesunde, umweltverträglich erzeugte Lebensmittel in der Kantine?

Ähnlich wie beim betrieblichen Gesundheitsmanagement ist es sinnvoll, auch den betrieblichen Umweltschutz systematisch über ein Umweltmanagement anzugehen. Denken Sie auch hier ganzheitlich und nehmen Sie stets die Perspektive aller Akteur*innen ein!

» Best Practice: Stromspar-Check der Caritas

Einen interessanten Ansatz wählt der Stromspar-Check der Caritas für einkommensschwache Haushalte zur Reduzierung des Stromverbrauchs. Da bei dem Programm auch Langzeitarbeitslose zu Stromsparhelfer*innen ausgebildet werden, profitiert die Gesellschaft gleich mehrfach. Initiativen für den Umweltschutz können Ihnen auch bei der Suche nach Mitarbeitenden einen Vorteil verschaffen: Mit einer umweltfreundlichen, sozialen Einstellung können Sie bei vielen Bewerber*innen enorm punkten.

Führungskraft mit Vorbildfunktion

Ein wichtiger Baustein in der „Culture of Health“ sind schließlich auch Sie als Führungskraft in Ihrer Vorbildfunktion. Eine ausgewogene Ernährung, ausreichend Schlaf und Bewegung, soziale Kontakte und das Erlernen von Entspannungstechniken verbessern Ihre Gesundheit, Ihr Wohlbefinden und somit Ihre Produktivität. Das kann dann auch in positiver Sicht ansteckend auf andere wirken. Warum testen Sie nicht mal ein ,bewegtes Meeting‘ beim gemeinsamen Spaziergang durch den Park? Neben der Selbstfürsorge trägt Ihr Führungsstil auch maßgeblich zum Wohlbefinden und zur Motivation Ihrer Beschäftigten bei. Nehmen Sie dafür eine neugierige, offene, wertschätzende und ehrliche Haltung ein.

Dieser Beitrag zeigt deutlich: Es gibt viele Möglichkeiten, sich auf den Weg zu einer „Culture of Health“ zu machen. Hören Sie auf die Bedürfnisse Ihrer Beschäftigten und Mitmenschen und seien Sie offen für Lösungen. Holen Sie sich bei Bedarf externen Sachverstand hinzu, der Sie bei der Informationsbeschaffung und Umsetzung unterstützt. Beim Thema Gesundheitsförderung und Prävention bzw. beim Aufbau einer Gesundheitskultur gilt die Devise: Anfangen und am Ball bleiben!

Text: Benjamin Herten/Sina Matysek
© Andrea Piacquadio/Pexels