Pflegestrukturplanung leicht gemacht: So können Kommunen Pflegebedarfe auf einen Blick erkennen

Pflegestrukturplanung_Drei junge Mitarbeitende arbeiten zusammen
Mittwoch, 31 Mai 2023 10:45

Seit 2005 ist die Pflegestrukturplanung in Städten und Kreisen in Rheinland-Pfalz gesetzliche Vorgabe. Ziel der Pflegestrukturplanung ist die Sicherstellung und Weiterentwicklung der pflegerischen Angebotsstruktur. Dazu gehört es u. a., die lokalen Pflegestrukturen zu erheben. Das bedeutet für die Pflegestrukturplaner*innen auch: Sie müssen sich durch große Datensätze zur Struktur der Leistungsempfänger*innen, der vorhandenen Angebote, Sozialraumdaten etc. kämpfen. Dabei steht den Verantwortlichen oftmals kaum Zeit für diese umfangreiche Aufgabe zu Verfügung. Im Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung Rheinland-Pfalz hat contec deshalb gemeinsam mit dem Ministerium und den Pflegestrukturplaner*innen einen vereinfachten Berichtsstandard mit Spitzenkennzahlen entwickelt und diesen bereits praktisch erprobt.

Die Pflegestrukturplanung ist ein gesetzlicher Auftrag, den jede kreisfreie Stadt und jeder Landkreis in Rheinland-Pfalz erfüllen muss: Pflegestrukturplaner*innen sind dazu aufgefordert, örtliche Pflegestrukturen zu erheben, um sicherzustellen, dass diese in geeignetem Maße vorhanden sind. Das ist für die Kommunen mit viel Arbeit verbunden. Das Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung Rheinland-Pfalz hatte deshalb contec damit beauftragt, einen vereinfachten Berichtsstandard für die Pflegestrukturplanung in den Kommunen zu entwickeln – damit Verbesserungen für die Pflege schnell angestoßen werden können.

Kommunen stecken bei Datenerhebung fest

„Wir sind in das Projekt mit einer Bestandserhebung der Pflegestrukturplanung gestartet“, berichtet Dr. Jan Schröder, Geschäftsbereichsleiter Innovation und Vernetzung der contec, „und haben uns zunächst angeschaut, wie die einzelnen Städte und Landkreise aufgestellt sind, an welcher Stelle im Prozess sie sich befinden und wie sie sich entwickeln wollen.“ Das Ergebnis: Die Pflegestrukturplanung soll zu einer partizipativen, wirkungsorientierten und priorisierenden Ziel- und Maßnahmenplanung entwickelt werden. Viele Kommunen stecken jedoch bei der arbeitsintensiven Erhebung und Darstellung der kommunalen Pflegestrukturen fest. Um die Grundlage für das langfristige Ziel zu legen, ergab sich für das Projekt folgende Herausforderung: Die Bestanderhebung muss zunächst vereinfacht und standardisiert werden. Damit Pflegestrukturplaner*innen den kommunalen Pflegebericht mit möglichst geringem Aufwand regelmäßig eigenständig aufstellen können.

Ein Standard für alle

Im Rahmen von Workshops wurden die Pflegestrukturplaner*innen in die Entwicklung und Planung des neuen Berichtsstandards eingebunden, auch um alle Beteiligten gleichermaßen abzuholen. „Wir haben die Strukturen und Anforderungen in gemeinsamen Workshops mit den Kommunen erarbeitet“, beschreibt Berit Herger vom Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung Rheinland-Pfalz den Prozess. „Nur durch die Zusammenarbeit mit den Planerinnen und Planern können wir gewährleisten, dass die Selbstverwaltung der Kommune gewahrt ist und die Ergebnisse auf einem Konsens beruhen. Zugleich konnten auf diesem Weg die konkreten Bedürfnisse optimal eingebracht und eine hohe Akzeptanz der Ergebnisse erreicht werden.“

Kernaufgabe war es, die Anforderungen der Nutzer*innen an den Berichtsstandard zu erarbeiten und gleichzeitig herauszufiltern, welche der vielen Informationen, die u. a. im Rahmen der Pflegestatistik erhoben werden, wirklich für die Planung und Steuerung der Kommunen relevant sind. In einem weiteren Schritt überlegten sich die Beteiligten dann, wie diese Daten so zusammengeführt werden können, dass mit einer möglichst geringen Anzahl von Kennzahlen eine realistische Einschätzung der aktuellen Pflegestrukturen möglich ist. „Wir haben uns gegen ein Fertigprodukt entschieden, weil das Selbermachen den kollegialen Dialog unter den Kommunen sowie die Lern- und Erkenntnisphasen im Prozess befördert“, so Berit Herger. „Wir wollen weg von den Leuchtturmprojekten, sondern in die Fläche arbeiten und unser Erkenntnisniveau gemeinsam verbessern.“

Spitzenkennzahlen geben Aufschluss

„Wir haben uns den Bericht als Haus oder Pyramide vorgestellt“, beschreibt Nico Dahm, Organisationsberater der contec. „Übergeordnet haben wir das Dach der Spitzenkennzahlen, die aggregiert, einen guten Überblick über die aktuelle Situation geben und untergeordnet als Basis drei Säulen mit weiterführenden Daten.“ Die Spitzenkennzahlen sind dabei so aufgebaut, dass sie Entscheider*innen einen schnellen Einstieg in wirkungsorientierte Planungs- und Steuerungsprozesse ermöglichen. Sie geben Aufschluss über

  • die Pflegesituation,
  • die Stärke der Pflegestrukturen,
  • die Qualität der Pflegestrukturen und
  • die Wirtschaftlichkeit der Pflegestrukturen in Städten und Landkreisen.

Untergeordnet stellt der Bericht darüber hinaus weitere detaillierte Informationen bereit, die bei Bedarf herangezogen werden können und die Interpretation der Spitzenkennzahlen unterstützen:

  • über die Leistungsempfänger*innen, z. B. welche Pflegeleistungen die Pflegebedürftigen nachfragen.
  • über die pflegerische Angebotsstruktur, z. B. wie viele Heimplätze und ambulante Dienste in der Kommune jeweils zur Verfügung stehen.
  • über den Sozialraum, z. B. wie die Bevölkerungsstruktur zusammengesetzt ist.

Haus der Kennzahlen für die Pflegestrukturplanung:copyright contec GmbH

Die Spitzenkennzahlen und der Berichtsstandard wurden auch bereits praktisch erprobt: Gemeinsam mit der Modellkommune Landkreis Trier-Saarburg hat contec auf Basis der erarbeiteten Strukturen einen Musterbericht für den Landkreis erstellt. Basis des Berichts sind insbesondere die vom Statistischen Landesamt erhobenen Daten zu den Leistungsempfänger*innen im Landkreis Trier-Saarburg sowie aggregierte Daten zur pflegerischen Angebotsstruktur und zum Sozialraum des Kreises. Ergänzt wurden die Informationen durch eigene Daten der Kreisverwaltung zu den Einrichtungen und Diensten im Landkreis. „Die Kennzahlen liefern uns eine gute Übersicht über die aktuelle Situation im Landkreis. Sie sind eine gute Grundlage für die Pflegeberichterstattung und die hieraus abzuleitenden Schritte für die Pflegestrukturplanung“, berichtet Nadja Adams, Leiterin der Stabsstelle Sozialplanung und verantwortlich für die Pflegestrukturplanung im Landkreis Trier-Saarburg. Die Ergebnisse wurden im Rahmen eines Workshops mit den Verantwortlichen der Kreisverwaltung erörtert. „Die gemeinsame Diskussion der Ergebnisse mit Sozialdezernent, Sozialamtsleitung, Sozialplanung und Kreisentwicklung hat gezeigt, dass die Spitzenkennzahlen genau die Diskussionen auslösen, die notwendig sind“, erläutert Dr. Jan Schröder.

➾ Die nachfolgenden Darstellungen zeigen exemplarisch Ergebnisse aus dem Modellprojekt.

1. Pflegesituation: Wie groß ist der Bedarf?

Die einzelnen Spitzenkennzahlen setzen sich aus Zahlenwerten zusammen, die Ergebnis einer Zusammenführung bestimmter – für die Pflegestrukturplanung wichtiger – Informationen aus den Kommunen sind. „Pflegestrukturplaner*innen wollen z. B. wissen, wie hoch der Anteil Pflegebedürftiger in ihrer Region und wie hoch der Pflegeaufwand ist, um daraus zu schließen, wie viele und welche Pflegeangebote benötigt werden“, erläutert Nico Dahm. Deshalb haben die Beteiligten den Pflegeintensitätsindex entwickelt. Dieser beschreibt grundsätzlich das Verhältnis der pflegebedürftigen Personen zur Gesamtbevölkerung.

Dabei wird die Zahl der Pflegebedürftigen umso stärker gewichtet, je höher der Pflegegrad und damit der Pflegeaufwand ist. Als Indikator für den mit einem Pflegegrad verbundenen Pflegeaufwand wird die Höhe der jeweiligen Pflegeversicherungsleistungen nach §36 SGB XI herangezogen.

Je höher der Pflegeintensitätsindex einer Kommune ist, desto größer sind die vorhandenen Pflegebedarfe in Relation zur Einwohner*innenzahl vor Ort.

Grafische Darstellung des Pflegeintensitätsindex

2. Stärke der Pflegestrukturen: Gibt es genug Personal?

„Zur Darstellung der Stärke der Pflegestrukturen haben wir uns insbesondere auf die Ressource Pflegepersonal fokussiert und den Personalbelastungsindex entwickelt“, erklärt Nico Dahm. Die Kennzahl wird jeweils für den ambulanten und stationären Bereich getrennt ausgewiesen und gibt an, wie viele Pflegebedürftige durchschnittlich von einer Vollzeitkraft betreut werden. Die Basis bilden Daten zum vorhandenen Personal und zu den versorgten Pflegebedürftigen einer Region.

Je höher der Personalbelastungsindex einer Kommune ist, desto weniger Pflegekräfte gibt es vor Ort in Relation zu den Pflegebedürftigen und desto mehr Menschen muss eine Pflegekraft durchschnittlich betreuen.

Grafische Darstellung Ambulanter Personalbelastungsindex

3. Qualität der Pflegestrukturen: Ambulantisierung im Fokus

Der Ambulantisierungsindex gibt Pflegestrukturplaner*innen einen Überblick über das Verhältnis von stationär und ambulant versorgten Leistungsempfänger*innen in der Kommune. Im Fokus steht die Frage: Gelingt der gesetzlich vorgegebene Grundsatz „ambulant vor stationär“? Dabei wird auch zwischen den Leistungsempfänger*innen unterschieden, die professionell ambulant versorgt werden und denen, die privat zuhause gepflegt werden. Die Kennzahl gibt an, wie viele ambulant versorgte Leistungsempfänger*innen auf eine/einen stationär versorgte/n Leistungsempfänger*in kommen. Dabei werden nur Pflegebedürftige mit mindestens Pflegegrad 3 einbezogen, um insbesondere die Versorgungsstruktur derjenigen mit erheblichem Pflegeaufwand abzubilden.

Je höher der Ambulantisierungsindex einer Kommune ist, desto besser gelingt dort die Umsetzung des Grundsatzes „ambulant vor stationär“.

Neben Daten zur Ambulantisierung wird im Bereich der Qualität der Pflegestrukturen auch der Organisationsstrukturindex betrachtet. Er gibt an, wie zentral oder dezentral die Pflegestrukturen sind, also wie viele Menschen durchschnittlich durch eine Einrichtung oder einen Dienst versorgt werden.

Je höher der Organisationsstrukturindex einer Kommune ist, desto zentralisierter ist die Versorgung organisiert.

Grafische Darstellung Ambulanter Organisationsstrukturindex

4. Wirtschaftlichkeit der Pflegestrukturen

Die Kennzahlen kommunaler und kundenbezogener Wirtschaftlichkeitsindex liefern Pflegestrukturplaner*innen einen Einstieg in die Wirtschaftlichkeit der Pflegestrukturen. „Wir haben uns in beiden Fällen über die Hilfe zur Pflege, also eine Sozialleistung, angenähert“, verdeutlicht Dr. Jan Schröder. „Auch wenn die Hilfe zur Pflege natürlich kein alleiniger Maßstab für die Wirtschaftlichkeit der Strukturen ist, ermöglicht sie als Indikator einen guten Einstieg in das Thema.“ Für den kommunalen Wirtschaftlichkeitsindex werden die Nettoausgaben für die Hilfe zur Pflege in Relation zu den Einwohner*innen gesetzt. Somit entsteht ein aussagekräftiger Wert für die durchschnittliche zusätzliche finanzielle Belastung der Kommune.

Je höher der kommunale Wirtschaftlichkeitsindex ist, desto größer ist die durchschnittliche Belastung je Einwohner*in.

Grafische Darstellung Kommunaler Wirtschaftlichkeitsindex

Außerdem wichtig für Entscheider*innen: Inwieweit können sich die Menschen vor Ort die pflegerische Versorgung leisten? Das ist über eine Kennzahl für die durchschnittliche private Unterfinanzierung der Pflegeleistungen von Pflegebedürftigen erkennbar.

Grafische Darstellung Kundenbezogener Wirtschaftslichkeitsindex

Berichterstellung „auf Knopfdruck“ als Vision

„Diese Daten könnte man ohne Weiteres digitalisieren“, stellt Nico Dahm seine Vision in den Raum. „Es ist durchaus im Rahmen des Möglichen, dass eine Software den Prozess des Datenabrufs, der Analyse und Datenzusammenstellung sowie die Berichtserstellung zukünftig übernehmen und möglichst automatisiert durchführen wird – Datenerhebung „auf Knopfdruck“ also“.

 

Text: Nico Dahm/Katharina Ommerborn Titelbild: Friends Stock/Adobe

Nico Dahm

Portrait von Nico Dahm, Organisationsberater, der contec

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